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Die Grenzen der Polemik: Über öffentliches politisches Schreiben

Anlass für dieses Schreiben ist eine teilweise in dieser Zeitung ausgetragene Kontroverse zwischen zwei Autoren, die ich A und B nennen möchte. Gegenstand ist zunächst ein Lob von A für die „Luftschläge der US-Airforce“ gegen ISIS, „vermutlich auch [mit] deren vielgescholtenen Drohnen. Mögen sie reiche Ernte einfahren.“ Darauf die Antwort von B vom 23.8.: „Das ist nichts Anderes als der Aufruf zu bzw. die Billigung von Mord und Totschlag.“ A habe mit einer solchen Formulierung „die Menschenwürde längst seiner Verbitterung und seinem Hass geopfert.“ (Dazu auch Kommentare auf der Kassel-Zeitung)
Rahmenhandlung ist die aktuelle Situation im Gaza-Krieg (als „Katalysator“: B) und ihr Niederschlag in der lokalen Szene. Die Verbalfeindschaft wird plastifiziert mit Behauptungen über den Charakter der Gegenposition. A über B: theoretische Dummheit, hartnäckiger Israelhass, Antizionismus, Antisemitismus und absolute Beratungsresistenz. B über A: Er gehöre zu jenen „selbst ernannten Tugendwächtern“, die bei jedem Anzeichen von rechtem Gedankengut „Alarm brüllen“. Solchen „Israel-Freunden“ gehe es um alles Mögliche, nur nicht „um eine wirksame und notwendige Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland und hier in Kassel.“
Ich halte die dort behandelten Fragen in der gewählten Form für unbeantwortbar und in der niedergelegten Art des Streites für indiskutabel. Deshalb enthalte ich mich der eigenen Sachmeinung und konzentriere mich als Beobachter auf die sprachliche Art und Weise des Vortrags und mögliche Schlüsse für zukünftige öffentliche Auseinandersetzungen.
Zunächst vier Sachkorrekturen. 1. Zur Anlassgabe bezeichnet Autor A die Kurdenorganisation PKK als einen „völkischen Haufen“ und nennt Sympathisanten die „Kasseler Bündnisgenossen des autoritären Kurdenhaufens“. Eine Partei ist eine strukturierte Organisation, also das Gegenteil eines Haufens. 2. Ähnlich wie bei der falschen Identifizierung von Juden („Religionsgemeinschaft“) mit Bürgern des Staates Israel (Staatsbürgerschaft) wird auch hier zwischen der Ethnie „Kurden“ und einer ihrer politischen Organisationen nicht unterschieden. Sie „völkisch“ zu nennen bedeutet, eine Autonomiebewegung (etwa vergleichbar den Basken) in eine völkisch-rassistische im Sprachgebrauch des 19. Jhs. und der Nationalsozialisten zu transformieren. 3. A schreibt das Kürzel SAV (für den eingetragenen Verein „Sozialistische Alternative“) als „SA-Voran“. Dies stellt mittels Sprachspiel eine eindeutige Verbindung zur SA her und könnte rechtliche Konsequenzen haben. (Schutzbehauptung: „Wo steht geschrieben, dass man alle Wörter ausschreiben muss?“) 4. Autor A moniert, B habe etwas dagegen, „den islamistischen Massenmördern und Halsabschneidern mit der Waffe in der Hand entgegen zu treten“. Es war aber nicht vom alten, in Konventionen ‚eingehegten’ Kriegshandwerk Auge in Auge die Rede, sondern von „neuen Kriegen“ (vgl. Herfried Münkler) mit Hilfe von Hochtechnologien (A: „vielgescholtenen“), die zwangsläufig und ungeahndet zur bis jetzt noch verbotenen Tötung unbeteiligter Zivilbevölkerung führt („Kollateralschaden“).

Rhetorische Mittel
1) Beide Seiten bekennen sich zum offenen rationalen Diskurs: „Nun kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein…“ (A über das PKK-Verbot) oder „Man ja darüber streiten…“ (B über Waffenlieferungen in den Irak), um dann herumzuschwenken auf das, was auf keinen Fall, als irrational usw., zur Diskussion stehen kann.
2) Beide Autoren wenden zur Vermeidung von Identitätsbehauptungen das Stilmittel des In-die-Nähe-Rückens, des nichtvergleichenden Vergleichens, des Sagens ohne etwas gesagt zu haben an. A zur Ideologie der genannten SAV: „Die gleiche Grundlage macht die Politik des nationalen Sozialismus des deutschen Nazifaschismus aus, … was aber nicht heißt, dass etwa eine SAV und die ‚Israelkritk’ [Anführungszeichen - MR] das Gleiche seien, wie die SA…“ B zum menschenverachtenden Drohnen-Erntewunsch: „Ob Faschismus so anfängt? Ich weiß es nicht.“ 3) A: Nennung eines abwesenden, also unprüfbaren Beweises. Seinen Argumenten liegt „eine theoretische Auseinandersetzung zugrunde“, die „seit Jahren geführt wird, so dass hier der Verweis … reichen soll.“

Ein Sprachgutachten kommt zu dem Schluss, dass die Kontrahenten mit ihren „Waffen der Kritik“ die Grenze zwischen einer Polemik im anerkannten Sinne, also einer scharfen argumentativen Auseinandersetzung, und einer nicht anerkannten „im Sinne eines , der persönlich anfeindet und eine unbedingte Vernichtung des Gegners zum Ziel hat“, überschreiten (nach Stauffer, HWB Rhetorik). Es ist auch zu prüfen, inwiefern die gewollte Beleidigung ins Spiel kommt, wozu Wikipedia auflistet:
­ - Beleidigung, in Deutschland eine Straftat nach § 185 StGB
­ - Beleidigung, in der Psychologie eine Aussage oder Handlung eines Senders, die das Ego bzw. den Stolz eines Empfängers mit negativen Emotionen assoziiert
­ - in Kriminologie und Rechtsvergleichung ein Ehrdelikt
­ - in der Linguistik ein Schimpfwort.

Ein Gutachten über den ideologischen Hintergrund kommt zu dem Schluss: Hier wird im Kleinen nachgeahmt, was im Großen ‚der Westen’ und der ‚fundamentalistische Islam’ treiben, nämlich „im Banne einer manichäischen Mythologie“ die "Welt als den Schauplatz eines Kampfes zwischen gut und böse“ zu definieren: „hier die 'Achse des Bösen', dort das 'Haus des Krieges'. Obwohl nun die beiden politischen Richtungen, die die gegenwärtige Welt bestimmen, aufgrund ihrer verschiedenen emotionalen Triebgrundlagen von tiefem gegenseitigen Unverständnis geprägt sind, arbeiten sie doch einander in die Hände. Die eine füttert das Bedrohungsbewusstsein der Gegenseite durch Terrorakte, die andere das Kränkungsbewusstsein durch gezielte Beleidigungen.“ (Jan Assmann, Über das Phobische)
So wird man nicht unter das „Europäische Rahmenstatut zur nationalen Förderung der Toleranz“ fallen können. A und B sollten sich freiwillig mit „Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassverbrechen sowie von Intoleranz“ zivilisieren. Diese „Waffen der Kritik“ reinszenieren sprachlich die politischen Fraktionskämpfe der Weimarer Republik. Hier sind die Sturmtruppen im Geiste schon einmal aufmarschiert.
Wir aber befinden uns in einer Republik, die „vom Bündnis denken“ (Klaus Heinrich) kann.

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Kommentare

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Kai Boeddinghaus am :

Spannend

PR am :

zu lang
außerdem tragen das echte kerle anders aus
ich fordere
ring frei für jonas "drohne" dörge und kai "matador" boeddinghaus

MR am :

Jenau det richtje für Leute, diewo Brot&Spiele mögen.

PR am :

O tempora, o mores!

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