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Halber Sieg im Kartoffelkrieg

Statt Datenschutz nun mal Artenschutz: 2005 entbrannte der Krieg um die Kartoffelsorte Linda. Der „Inhaber“, das Saatgutunternehmen Europlant, wollte nach dem Auslaufen des Sortenschutzes nach 30 Jahren den Anbau untersagen. Jetzt gibt es einen halben Sieg: Die Sorte ist in Großbritannien registriert worden und darf damit in Europa frei gehandelt werden.
Ein echtes polit-ökonomisches Lehrstück über die Frage: Wem gehört die (natürlich züchterisch und bäuerlich bearbeitete) „Natur“, welches Recht auf einen sog. Freien Markt haben Erzeuger und Endverbraucher, auch auf Lebensmittel-Vielfalt?
Die Lage ist kompliziert. Man nehme nur fünf der beteiligten Akteure: 1. das Saatgutunternehmen, das ein Recht auf Verwertung hat, weil es dereinst die Sorte züchtete, 2. das Bundesamt für Sortenschutz, das die Zulässigkeit der Sorte, z.B. mit einer „Speisewertprüfung“, bescheinigen und Verstöße gegen das Gesetz überwachen muss, 3. den Bauern, der die Sorte anbauen will, weil er am besten damit zurechtkommt und sie auch am besten absetzen kann, 4. den Endverbraucher, sofern er weniger Interesse am Reinschaufeln hat und mehr an Qualität und Geschmack, 5. die Medien.
In der TV-Dokumentation von Hans-Christoph-Koch (WDR 2006) werden 1-3 hervorragend porträtiert. 1: Der Sprecher von Europlant. Er spricht vom „Ende der Laufzeit“ für Linda; der Erfolg der Nachfolgesorte „Bellana“ „gibt uns inzwischen recht“; „Letztlich ist es nun mal so, dass sich die Welt weiterbewegt.“ Ein Zuchtziel seien Sorten, „die möglich stabil in ihren Koch- und Geschmackseigenschaften sind.“ Das sei auch die Anforderung der Verbraucher mit ihrer Gewöhnung an „gleichartige Qualität und gleichartigen Geschmack“ rund ums Jahr. 2: Der Anwalt der Kartoffelkrieger sieht das anders: Bei der Züchtung werde nicht vollkommen Neues produziert, sondern ein Allgemeingut so modifiziert, dass der Züchter seinen Gewinn für 30 Jahre daraus ziehen könne, worüber das Sorten-Schutzrecht zu wachen habe. Danach habe im „Grundsatz“ die Kartoffel ans Allgemeingut zurückzufallen. 2: Der Vertreter des Bundessorten-Amtes urteilt darüber, die gegnerische Gruppierung bestreite, dass das Sortenrecht zu Recht bestehe, bzw. „dass das Gesetz überhaupt besteht“. Das Allgemeingut-Argument qualifiziert er als Volkseigentums-Unsinn, oder ironischer: „Das ist schon ein bisschen ethische Sprachweise“. Die Gegner meinten: „Das ist Volkseigentum, und deswegen dürfen die alles damit machen“. 3: Für den Bauern ist das natürlich Unsinn. Karsten Ellenberger als ein Protagonist der Protestgruppe berichtet über sein Erstaunen. In welchem Land lebt man, in dem ein Züchter Bauern und Verbrauchern vorzuschreiben hat, was der eine anbaut und der andere isst? Das ist „Kapitalismus pur auf dem Teller“. Ausgerechnet er beruft sich auf die Marktwirtschaft und die Freiheit in Produktion und Konsum… Und nun 5: Wären die Medien nicht gewesen, hätte der Streit niemals die gesamte Republik sekundenweise erschüttert. Erwähnung des Konflikts in der Tagesschau durch Ulrich Wickert, Spiegel-Artikel usw. Eine Kartoffel wurde in die Liste der Prominenten aufgenommen: Wann ist das schonmal vorgekommen?
Stand der Dinge: Die Sorte ist zwar in Großbritannien zugelassen und EU-frei handelbar, aber nur als Pflanzkartoffel, nicht als Esskartoffel. Dazwischen ist immer nach das Bundessortenamt. Wie das ausgeht, weiß man noch nicht.
Moral von der G’schicht: Zur Zeit wird heftig diskutiert um die Frage des Verhältnisses der commons zur ökonomischen Verwertung, der Durchkapitalisierung des Internet, im Urheberrecht, der Patentierung etc. Landwirtschaft und Ökologie stehen vor demselben Problem. Und manchmal klappt es ja durch das Zusammenspiel verschiedener „Akteure“. Und wieso fehlt in der Darstellung Nr. 4? Weil wir auf den, der wir ja selbst sind, noch ein wenig warten müssen, sofern wir auf "Gleichartigkeit" scharf sind. Bis zum ganzen Sieg.
(Übrigens habe ich mir gestern auf dem kleinen Markt von Markdorf einen Sack "Sieglinde" und ein Säckchen "Mäuserl" gekauft.Damit sind, wie bei den "Drillingen" und franz. "Grenailles", aber nur "unsere lieben Kleinen" gemeint. Da freu ich mich drauf.)

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