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Antisemitismus auf der documenta fifteen (d15) oder Nachhilfeunterricht für einen Oberbürgermeister

Das gebetsmühlenartige, aber alles andere als logische Gerede über die d15 als Weltausstellung des „Globalen Südens“, hat mit den erhobenen Vorwürfen, dass die vorgelagerte Findungskommission und die Kuratorengruppe Ruangrupa selbst und dazu eine erkleckliche Anzahl von Künstlerinnen und Künstler dem BDS nahe stünden und mehr oder weniger heftig antisemitisch eingestellt seien, nichts zu tun.

Darüber hinaus entlarvt sich dieses Gerede als simple Ausrede, denn DEN globalen Süden gibt so nicht, sondern nur einen mit einer fast unüberschaubaren Vielfalt an Geschichte(n), kolonialen oder nicht kolonialen Vergangenheiten und ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen, die verschiedener kaum sein könnten. Oder möchte jemand behaupten, in Botsuana, wiewohl noch weiter im Süden gelegen denn Nigeria z.B., herrschten auch nur annähernd die gleichen gesellschaftlichen Bedingungen? Derartige Vergleiche sind lächerlich. Während in Nigeria, genauer in Owo, einer Stadt im Bundesstaat Ondo, erst Anfang Juni d.J. wieder einmal islamistische Terroristen zuschlugen und wahllos über 60 Kinder und Erwachsene in einer Kirche ermordeten, gibt es in Botsuana eine seit 1966 funktionierende Demokratie nach westlichem Muster, die Frauen gleiche Rechte einräumt, die Gewinne der Diamantenausbeutung im Land lässt und die ein gut funktionierendes Bildungs- und Gesundheitswesen geschaffen hat; mit einer niedrigen Fertilität und einer extrem niedrigen Kindersterblichkeit obendrein. Nicht dass damit Botsuana ein Paradies wäre. Sicher nicht. Es wird jedoch nicht umsonst als Schweiz des afrikanischen Kontinents bezeichnet und für Nigeria gilt in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil. Details führten hier zu weit. Eins jedoch ist klar: Wie allein der Vergleich zwischen diesen beiden ehemaligen britischen Kolonien in Afrika zeigt, gibt es DEN undifferenzierten „Globalen Süden“ so gar nicht. Das gilt für Süd-, Ost und andere Teile Asiens ebenso wenig wie für Süd- und Mittelamerika. Auch dort sind die Unterschiede teils gigantisch groß.
Statt über den „Globalen Süden“ zu salbadern, der, was ja stimmt, eine ganze Reihe von Problemen, wie z.B. die Folgen des Klimawandels, auszubaden hat, die wahrhaft nicht allein von der geografischen Lage auf dem Planeten herrühren, hätten die zuständigen Verantwortlichen in Bund, Land und Kommune der vom BgA Kassel initiierten und inzwischen von einem nicht kleinen Teil der Weltpresse übernommenen Kritik am Antisemitismus und an der BDS*-Gefolgschaft in und auf der d15 akribisch nachgehen müssen. Das wäre ihre Aufgabe gewesen. Statt das BgA permanent zu desavouieren, zu verleumden und schließlich sogar mit Rassismus Vorwürfen zu belegen, hätte die bislang in keinem Punkt widerlegte Kritik des BgA ernst genommen und überprüft werden müssen. Hätte man dann festgestellt, wie richtig die vom BgA recherchierten Tatbestände sind, wäre konsequentes Handeln angesagt gewesen. Dafür war am Anfang des Jahres noch Zeit genug.

Davon wollte jedoch niemand etwas wissen. So lange nicht, bis am Tag der Eröffnung der d15, am 18 Juni 2022, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überaus deutliche Worte fand. Während die Verantwortlichen hier bislang nichts unternommen hatten, die mit öffentlichen Mitteln getragene documenta in einem Sumpf von Antisemitismus und Verunglimpfungen von Israel versinken zu lassen, während sie zu all den ans Licht geholten schwerwiegenden Tatbeständen schwiegen und damit das wertvolle und Kassel immer wieder zum Leuchten bringende Label documenta nicht ausreichend schützten (wiewohl sie das immer zu tun vorgaben), musste am Eröffnungstag der d15 der Bundespräsident Tacheles reden: „Als deutscher Bundespräsident halte ich für mein Land fest: Die Anerkennung Israels ist für uns die Grundlage und Vorrausetzung der Debatte.“

Hätte es diese Klarheit bei Frau Roth, unserer Kulturstaatsministerin, Frau Dorn, der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst und bei Herrn Geselle, dem Kasseler OB, so oder so ähnlich gegeben, wäre das peinliche Getöse um Antisemitismus und BDS auf, in und um die d15 herum gar nicht erst entstanden.

So aber werden jetzt - nachdem viele der beschwichtigenden Journalisten und der vermeintlichen Antisemitismus Experten schrecklich danebengelegen haben - die Scherben einzusammeln sein: Denn nun ist nicht mehr nur die Rede davon, dass ein kleines Grüppchen unbeirrbarer Israelfreunde aus Kassel „vermeintlichen“ Antisemitismus aufgedeckt habe, dass Ruangrupa Mitglieder beim BDS mitmachten und viele von Ihnen den „Letter against apartheid“ unterzeichnet hätten (ein Dokument, das Israel mehr oder weniger offen die Vernichtung androht) und dass ein palästinensisches Künstlerkollektiv mit dem Namen The Questions of Funding (QoF) aus dem Umkreis des Khalil Sakini Culture Center stammt. Dem Namenspatron des Centers, Khalil al Sakini, wurde und wird die Verehrung von Adolf Hitler nachgesagt ... Von eben dieser Gruppe QoF stammt der unsägliche Vergleich des Angriffs der Nazi-Luftwaffe auf Guernica im spanischen Bürgerkrieg mit dem Einsatz der israelischen Streitkräfte auf Gaza. (Dass von dort zuvor hunderte Raketen auf Israel abgefeuert wurden, verschweigt das Künstler-Kollektiv geflissentlich.) Jetzt wird davon gesprochen, was die ganze Zeit zu befürchten war: Dass die bekannte, über Monate sträflich tolerierte Juden- und Israelfeindschaft offenbar wird. Heute, am 20.06.2022, wird das erste Kunstwerk der d15 zu- und abgedeckt. Es stammt vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi und zeigt klassischen, uralten Judenhass in reinster Form. Eindeutig als Juden zu erkennende Personen mit Schweinerüssel statt Nase und Judenstern … Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der heftige Kritik wegen seiner Demarche gegen die von der documenta GmbH geplante Diskussionsrunde zu den Antisemitismus - Vorwürfen „We need to talk“, die zur Reinwaschung von eben diesen Vorwürfen gedacht war, erklärte heute unmissverständlich: „Es spielt … keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten. Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt.“

Was heute – 3 Tage nach der Eröffnung der d15 zum Debakel gerät – hat da und dort schon deutlich früher Fragen aufgeworfen. So schrieb die FAZ am 24. Februar 2019: „Nun wird aber, wie … die neue Geschäftsführerin Sabine Schormann ankündigte, die nächste Ausgabe (der documenta, gemeint ist die d15, E.J.) tatsächlich von einem indonesischen Künstlerkollektiv kuratiert, das keiner kennt und das die Documenta und deren Geschichte kaum kennt. Und da bleibt erst mal nichts, als die Entscheidung der achtköpfigen Findungskommission hinzunehmen und herauszufinden, wer Ruangrupa ist. Dass sie nämlich 2016 das Kunstfestival Sonsbeek im niederländischen Arnheim kuratierten, war irgendwie nicht zu uns durchgedrungen; vielleicht, weil Ruangrupa keine transportablen Symbole produzieren, sondern jeweils am Ort schauen, was ‚die Menschen brauchen‘“. Es hat eine ganze Weile gedauert. Aber nun weiß man, wer Ruangrupa ist.

Ein letzter Absatz: Haben Sie während der Rede des Bundespräsidenten in den Nachrichten das Gesicht von OB Geselle beobachtet? Sie sollten es vielleicht nachträglich noch mal tun, was im Zeitalter der Mediatheken ganz leicht ist. Er, OB Geselle, ist dabei ganz offensichtlich not amused. Zum einen, weil ihm da ein Parteifreund die Welt erklärt und die Leviten liest gleichermaßen, zum anderen, weil er öffentlich vorgeführt wird. Denn Steinmeier zeigt klar auf, wo die roten Linien sind, die in Kassel niemand sehen und beachten wollte. Und noch in der HNA von heute wird Geselle mit dem unsäglichen Satz, der wenig wert ist, zitiert, wie froh er darüber sei, dass sich das Kuratoren – Team von allem Bösen, vor allem jedoch und vorneweg, vom Antisemitismus so deutlich distanziert hätte. Wie viel solche verbalen Positionierungen wert sind, weiß heute Abend vielleicht sogar OB Geselle. Statt den lauten und vermeintlich deutlichen Positionierungen seiner Kuratoren zu glauben, hätte er besser lesen sollen, was sie alles unterschrieben und gegen wen sie im „richtigen Leben“ Position bezogen haben.

*“BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen und damit für eine internationale Israel-Boykottbewegung. Der Bundestag hat sie mehrheitlich für antisemitisch erklärt, sie selbst hält sich für eine Menschenrechtsorganisation. Insofern hat man es mit stark unterschiedlichen Einschätzungen zu tun. Doch worum handelt es sich nun dabei? Eine kritische Darstellung dazu liefern Alex Feuerherdt und Florian Markl, die gemeinsam das Buch ‚Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand‘ geschrieben haben. Bereits in der Einleitung formulieren sie ihre Einschätzung: ‚BDS geht es weder um Menschenrechte noch um die Lebensumstände der Palästinenser, sondern um die Verdammung und Delegitimierung Israels. Und BDS vertritt alten Hass in neuem Gewand. In der BDS-Propaganda wird Israel als ‚kollektiver Jude der Nationen‘ auf grotesk verzerrte Art und Weise diffamiert, ausgesondert und völlig anders behandelt als alle anderen Länder der Welt‘“ … (Armin Pfahl-Traughber)

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