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Unterwegs im Norden: Eine Erinnerung, wie es vor 4 Wochen einmal war

Von der türkischen Bäckerei, der Ochshäuser Straße, dem Hochregal und im Forstfeld

Das Wetter ist instabil und soll hundsmiserabel werden. Aus unserer kleinen Genossenschaftswanderung wird wohl nichts. Jetzt aber scheint gerade die Sonne, also kommt Genosse G. mit dem Roller und berichtet, dass es doch kälter als auf dem Display seines Handys sei. Wir fahren zum Leipziger Platz, da will G. mich in seine türkische Lieblingsbäckerei einführen. Frühstück im "Instanbu".
Wir sind zu Zweit in der Minderheit, Väter sitzen mit ihren limonadetrinkenden Kindern an viereckigen Tischen. Männer sind verabredet, ein Paar hält sich an den Händen. Wir sprechen über Hanau, über Gemeinwohlökonomie, das Büro für unmögliche Ideen, über uns und über die Weltlage. Corona gibt es noch nicht, kommt aber bald. Das Frühstück schmeckt, wir sind satt und gehen los. Die Richtungsentscheidungen beim Flanieren durch fremde Gegenden werden immer ad hoc getroffen: Gehen wir nach links oder rechts oder geradeaus. Diesmal gehen wir nach links und kommen an diversen Einkaufszentren, Autowerkstätten, Autowerkstätten und Autowerkstätten vorbei. Auf einer hohen Klinkermauer sind Glasscherben eingelassen, das sieht sehr abschreckend gemein aus. Der Natodraht hat wohl nicht ausgereicht. G. schaut auf dem Handy, hinter der Mauer liegt... Das ist strengstens verboten, aufs Handy zu schauen während einer Safari ins Unbekannte. Lieber um die Ecke gehen und Leute fragen. In diesem Fall sehen wir nichts und niemanden. Dann aber taucht auf der rechten Seite ein Holzhaus auf, etwas weiter weg vom Fußgängerweg. Genosse G. tippt auf Erle, aber das wirklich irritierende an dem Haus ist, dass auf halber Höhe ein Auto klebt und aus dem Kamin eine schmales Laubbäumchen wächst. Worauf steht denn bitte das Auto? Diesmal biegen wir vorschriftsgemäß nach rechts um die Ecke in einen Autohof und da kommt schon ein Mann aus dem Büro:"Kann ich Ihnen weiter helfen?" Helfen nicht, aber er kann unsere Verwunderung auflösen. Die Autos stehen auf einem Hochregal, das einer für die Bahn erfunden hat und daran pleite gegangen ist. Der Besitzer des Holzhauses hat die Regale aufgekauft und stapelt nun Oldtimer aufeinander, das ganze Holzhaus soll voll davon sein. Ob wir das mal sehen dürfen? "Nein," meint er, da würde niemand reingelassen. "Ja, die Männer erfinden die Technik und die Frauen nutzen sie", meint Genosse G., der selbst eine Allerleierfinder ist. Aber das Bett, dass haben ganz gewiss Frauen erfunden, da bin ich mir absolut sicher. Und gibt es eine bessere Erfindung? Ein paar Meter weiter steht ein polnischer Lastwagen mit bunten Troddeln als Borte oben an der Frontscheibe. Der Fahrer kommt gerade und wir loben seinen verzierten LKW, aber er versteht es nicht. Mit meinen Brocken Slowakisch, die ich mir mühsam ins Hirn getan habe, geht immer was. Er lacht. Wir manövrieren uns in eine Sackgasse rein und werden mit dem Reisetaubenzüchterverein belohnt. Die Züchter sind nicht da, dafür aber die Reisetauben, die sehr daran interessiert sind, was wir denn da so machen. Die Deutschlandfahne liegt eingerollt in der Ecke und die Laube befindet sich noch im Winterschlaf. Auch auf dieser Ecke steht ein unvermeidlicher Autohof mit vielen Karren vor dem Eingang. Zurück und wieder links abgebogen. Genosse G. meint, wir kämen jetzt ins Forstfeld, da wo der Mörder von Walter Lübcke gewohnt habe. Uns begrüßt ein farbenfroher Ganesha, der indische Elelfantengott mit einer Swastika, die aussieht wie eine pinke Geburtstagstorte für Vierjährige. Auf einer Tafel am Haus steht, dass das Haus das Projekt "Forstefeld 36" beheimatet, das sich um unbegleitete minderjährige Jugendliche kümmert. An seine Fassade wurde am 19. Juni 2017 ein Hakenkreuz und Sieg-Heil geschmiert. Der Graffitikünstler WON ABC hat daraufhin die Wand umgestaltet und das faschistische Hakenkreuz in das ursprüngliche Glückssymbol zurück geführt. Wie klug das ist. Eine Ecke weiter bestaunen wir Gartenzäune und Vorgartengestaltung. Die Palisadenzäune scheinen Junge bekommen zu haben, an jedem Haus ein Palisadenzaun, weiß oder metall. Lauter kleine Lanzen, ordentlich aneinander gereiht. Da sind wohl die wehrhaften Hausbesitzer allesamt in den selben Baumarkt marschiert. Im gepflasterten Vorgarten stehen Eselchen, Engelchen und Waschbeton. Langsam wird uns kalt; eingentlich wollen wir noch einen Kaffee in der Raucherkneipe trinken, aber die Wirtin am Spielautomat und auch ihr Hund sagen uns, dass es keinen Kaffee gibt. Genosse G. und ich begeben uns zur Straßenbahnhaltestelle in der Leipzigerstraße. Und auf der Rückfahrt wundere ich mich gleich nochmal, dass in der ganzen Leipziger Straße eine Autofirma neben der anderen steht.

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