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Gedenktag 9.November im Anthroposophischen Zentrum....

Gestaltet und ausgeführt von Johannes Roth, Rita Schumacher, Michael Zech und Schülern der Waldorfschule (Musik) - "Musik und Lyrik rahmen bzw. gliedern den Abend", versprach der Ankündigungstext.
Das Zentrum liegt so angenehm nahebei - auch für Langsame gut zu erreichen, Fahrstuhl vorhanden.
Mit einer leisen, nicht ganz vorurteilsfrei lächelnden Frage, ob bei einem im Anthroposophischen Zentrum stattfindenden Gedenken zum 9.November womöglich Engel, Geistwesen und Inkarnationen eine Rolle spielen könnten,
aßen wir rechtzeitig zu Abend, um uns in Ruhe fürs Ausgehen fertigmachen zu können, spazierten um die drei Ecken zur Wilhelmshöher Allee und versuchten, leicht verspätet, uns neugierig in den eben für die einführenden Worte ruhig gewordenen, gut mit Zuhörenden gefüllten Saal zu schleichen. Da keine Plätze mehr frei waren, gelang das unauffällig Hineinschleichen allerdings nicht - jemand Nettes holte uns zwei Stühle von einem Stuhlstapel an der Wand...
Diese 9.November-Gedenkveranstaltung hob sich wohltuend ab vom üblichen Politiker-Gedröhn bei solchen Gelegenheiten, bei denen meistens je nach politischer Ausrichtung eines Ereignisses gedacht wird. Die Vortragenden bericheten im Erzählstil anschaulich die Geschehnisse 1918, 1923 und der Pogromtage 1938 - teils mit besonderem Bezug auf Kassel. Philipp Scheidemann stammte aus Kassel. Anrührend die kleine Geschichte über seine Suppe - die er in der Kantine nicht kalt werden lassen wollte, so dass er geradezu zum Verkünden der Republik gedrängelt werden musste und nur dazu zu bewegen gewesen sein soll, weil man drohte, Karl Liebknecht könne andernfalls eben gerade in jenen Minuten als erster den Rätesozialismus ausrufen .....Die Pogrome gegen jüdische Menschen, Synagogen und Geschäfte nahmen in Kassel nicht am 9., sondern schon am 7.November ihren Lauf. Das Niederbrennen der Synagoge in der Unteren Königsstraße verhinderte zunächst ein gewiefter Feuerwehrmann, indem er behauptete, es bestünde wegen ausgetretenen Gases Explosionsgefahr....Später wurde sie dennoch restlos zerstört.
Es wurden Gedichte und Texte aus den jeweiligen Zeiten rezitiert (eindrucksvoll ein Text von Paul Celan über Sprache, wie sie litt in jenen Zeiten, und dass sie heilen müsse), zwischendurch gab es von zwei jungen Musikern Klavier-Gitarre-Stücke, meditativ, unter die Haut dringend, wie in weiten Landschaften verklingend, jedoch keinesfalls dem allseits auf uns an öffentlichen Orten eindrängenden "Entspannungsmusik"- Gedudel ähnelnd, leicht jazzig - ein wenig an Keith Jarrett und Elemente seines "Köln-Concert" erinnernd.
Die Ereignisse des Jahres 1989 wurden nicht wiedergegeben - wir nahmen an, dass man die Veranstaltung an der Aufnahmefähigkeit des Publikums orientieren wollte.
Insgesamt ein Gedenken zum Nachdenken, Nachfühlen und den Blick auf Heute schärfend, ohne ideologische Vereinnahmung - ungewöhnlich für heutige Zeiten. Wir empfanden das als sehr angenehm. Als man nahe daran war zu meinen, nun dauere es aber doch etwas lange, kamen freundliche Abschiedsworte.

»Erreichbar, nah und unverloren inmitten der Verluste blieb dies Eine: die Sprache. Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah. Aber sie ging durch dieses Geschehen.«

Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Dritter Band. Gedichte III. Prosa. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983. Seite 185f.

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