„Mit Federspitze statt mit Waffen“
Gegen Gentrifizierung und Mieterhöhung demonstrierte das „Aktionsbündnis gegen Entmietung“ gemeinsam mit Betroffenen und Mitbürgern. Mit dem ersten IGEL-WALK, der am Samstag in Kassel stattfand, setzen sie ihr Zeichen.
Beim IGEL-Walk demonstrieren Bürger und Anwohner gegen Entmietung und Mieterhöhung. Foto: Reimund Lill.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Häuser klaut!“, ruft ein Mitglied des Aktionsbündnisses laut aus. Über lärmende Trommeln hinweg geben zahlreiche Bürger diese Worte laut schallend wieder, denn sie wollen mit ihrem Protestmarsch Aufmerksamkeit erregen. Sie wollen den Blick auf ein Thema lenken, das viele Menschen betrifft und bereits viele getroffen hat: Steigende Mietpreise und die immer öfter auftretende Konfrontation mit dem Thema „Entmietung“.
Anlass für die Demonstration, deren Akteure sich dagegen wehrt, gaben konkrete Fälle der angedrohten, aber auch vollzogenen Entmietung in der Goethestraße 71/73.
Darum baten Anwohner um Unterstützung, weshalb sich im Januar das „Aktionsbündnis gegen Entmietung - für gutes und bezahlbares Wohnen“ gründete, um diese zu ermöglichen.
Dabei lautet das Motto des Aktionsbündnisses:„Igel dich frei: Goethestraße ist überall!“ Der Igel als friedliebendes Tier stelle, sie die Initiatoren, nur bei der Bedrohung seines Lebensraums seine Stacheln auf: Damit dient er als Metapher ihres friedliches, aber Druck ausübenden Handelns und als Symbol ihrer Bewegung.
Konkret fordert das Bündnis die Unterstützung der einzelnen Mieter, die Umsetzung einer Milieuschutzsatzung und übergeordnet eine Veränderung der Wohnungspolitik in der Stadt und übergeordnet im Bundesland Hessen.
Betroffene Bürger erzählen aus erster Hand
Vom Bebelplatz startete die Demonstration, die mit einleitenden Worten von Harald Kühlborn, stellvertretender Vorsitzender des DMB Mieterbund Nordhessen e.V begann: „Viele Normalverdiener können sich die Miete in Kassel nicht mehr leisten. In einer Stadt, die dafür steht, dort gut und günstig wohnen zu können,“ betont er: „Allein in den letzten zehn Jahren stieg die Miete um 70 Prozent. Es ist wichtig, die Politik darauf aufmerksam zu machen!“ schloss er, ehe sich daraufhin laute Zustimmung erhob.
Daraufhin zogen die Menschen vom Bebelplatz in die Lasallestraße, und anschließend in die Goethestraße 71/73. Dort berichten betroffene Bewohner, wie sie mithilfe verschiedener Methoden, Abmahnungen oder der Unterbrechung der Internetversorgung, dazu angehalten werden, auszuziehen. In der 73 stehen bereits 14 von 16 Wohnungen unter der Notwendigkeit einer Grundsanierung aufgrund von vernachlässigter Brandschutzverordnungen leer. In der möglichen Absicht der Vermieter Profit zu machen, werden die Wohnungen den Bewohnern nicht zum Wiedereinzug zugestanden. Stattdessen werden die Wohnungen hinterher teuer zur Vermietung oder zum Eigentumserwerb freigegeben, wodurch das Problem der Gentrifizierung entsteht.
„Gerade die Gründerzeithäuser sollen bewahrt werden und für viele verschiedenen Menschen auch zugänglich sein,“ betont Stephan Haberzettl, ehemaliger Bewohner der Goethestraße 73.
Aus der 71 berichtet eine Bewohnerin, dass die Wohnungen noch mehrheitlich belegt sind, aber immer wieder mit Abstandsmahnungen oder Kündigungen gedroht wird.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass es in der Hausgemeinschaft kreativ und bunt sein darf mit unterschiedlichen Gehaltsklassen,“ erzählt sie sehr ergreifend. Ihr Mut, Emotionen zu zeigen, erntet großen Applaus, Zustimmung und Zusammenhalt bei den protestierenden Bürgern und Anwohnern.
„Darum bin ich dankbar für den Anklang bei diesem Protest, der nicht mit Waffen und Gewalt, sondern mit Federspitze und Texten etwas bewirken soll.“
Oder mit Sprühkreide, mit der Kinder das Igelsymbol auf den Bürgersteig sprühen, und der IGEL-Walk sein Zeichen setzt.
Im Anschluss daran zogen die Beteiligten der Demonstration unter lauten Rufen wie „Wem gehört die Stadt? - uns gehört die Stadt“ weiter durch die Friedrich-Ebert-Straße, und verschafften ihrem Anliegen geräuschvoll Gehör.
Entmietung und Gentrifizierung hessenweit
Am Annaplatz spricht sich auch Anette Wippermann, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen, mit Blick auf ähnliche Prozesse der Gentrifizierung gegen Mieterhöhung und Luxusmodernisierung in Frankfurt aus: „Neben Normalverdienern, besonders im sozial arbeitenden Bereich im Erziehungs- oder Krankenwesen, die davon betroffen sind, greift die Wohnungsnot auch auf andere Gruppen über.“
Denn es fehlen sowohl barrierefreie Wohnungen für ältere oder behinderte Mitbürger und Mitbürgerinnen, bezahlbare Wohnheimplätze für Studierende, als auch Wohnungen für Menschen mit besonderen Lebenslagen.
„Wohnungspolitik darf keine Wirtschaftspolitik, Wohnungspolitik muss Sozialpolitik
sein!“, betont sie abschließend, was neben ihren genannten Forderungen nach bezahlbaren Wohnraum oder auch Wohnungsgemeinnützigkeit auf großen Anklang innerhalb der Beteiligten des IGEL-Walks stößt.
Auch denkmalgeschützte Häuser sind betroffen
Als letzte Station ziehen die Demonstrierenden in die Sophienstraße 1, deren Bewohner das Problem der Brandschutzauflagen als Vorwand zum Auszug besonders stark betrifft. „Es sind auch hier schon sehr Viele ausgezogen. Ich bin noch da und werde hier in Zukunft noch leben!“, teilt dortiger Bewohner Torsten Schmidt mit.
Der Wille der Bewohner, zu bleiben ist stark. Doch der Konflikt zwischen dem notwendigen Auszug aus Sicherheitsgründen, um Fälle wie den Großbrand Londoner Grenfell Tower zu vermeiden, und nicht zugestandener Wiederbewohnbarkeit derselben Bewohner ist sehr groß. Der gestellte Antrag auf Abriss der Sophienstraße 1, obwohl das Haus denkmalgeschützt ist, verdeutlicht die Verlagerung des Schwerpunkts der Vermieter auf Wirtschaftlichkeit und nicht auf die Sicherheit der Bewohner.
Es bedarf folglich viel weiterer Ausdauer und Gegenwehr, um weitere Bewohner vor der Entmietung zu bewahren, doch mit dieser Demonstration ist bereits ein erster Schritt getan.
„ Es war ein kurzer, bunter und vor allem inhaltsreicher IGEL-Walk“, sagt Stephan Haberzettl abschließend, ehe der Abend bei gemeinsamen Gesprächen und kühlenden Getränken im Hinterhof der Sophienstraße 1 ausklingt.
Anlass für die Demonstration, deren Akteure sich dagegen wehrt, gaben konkrete Fälle der angedrohten, aber auch vollzogenen Entmietung in der Goethestraße 71/73.
Darum baten Anwohner um Unterstützung, weshalb sich im Januar das „Aktionsbündnis gegen Entmietung - für gutes und bezahlbares Wohnen“ gründete, um diese zu ermöglichen.
Dabei lautet das Motto des Aktionsbündnisses:„Igel dich frei: Goethestraße ist überall!“ Der Igel als friedliebendes Tier stelle, sie die Initiatoren, nur bei der Bedrohung seines Lebensraums seine Stacheln auf: Damit dient er als Metapher ihres friedliches, aber Druck ausübenden Handelns und als Symbol ihrer Bewegung.
Konkret fordert das Bündnis die Unterstützung der einzelnen Mieter, die Umsetzung einer Milieuschutzsatzung und übergeordnet eine Veränderung der Wohnungspolitik in der Stadt und übergeordnet im Bundesland Hessen.
Betroffene Bürger erzählen aus erster Hand
Vom Bebelplatz startete die Demonstration, die mit einleitenden Worten von Harald Kühlborn, stellvertretender Vorsitzender des DMB Mieterbund Nordhessen e.V begann: „Viele Normalverdiener können sich die Miete in Kassel nicht mehr leisten. In einer Stadt, die dafür steht, dort gut und günstig wohnen zu können,“ betont er: „Allein in den letzten zehn Jahren stieg die Miete um 70 Prozent. Es ist wichtig, die Politik darauf aufmerksam zu machen!“ schloss er, ehe sich daraufhin laute Zustimmung erhob.
Harald Kühlborn, stellvertretender Vorsitzender des DMB Mieterbund Nordhessen e.V. eröffnet den IGEL-Walk. Foto: Reimund Lill.
Daraufhin zogen die Menschen vom Bebelplatz in die Lasallestraße, und anschließend in die Goethestraße 71/73. Dort berichten betroffene Bewohner, wie sie mithilfe verschiedener Methoden, Abmahnungen oder der Unterbrechung der Internetversorgung, dazu angehalten werden, auszuziehen. In der 73 stehen bereits 14 von 16 Wohnungen unter der Notwendigkeit einer Grundsanierung aufgrund von vernachlässigter Brandschutzverordnungen leer. In der möglichen Absicht der Vermieter Profit zu machen, werden die Wohnungen den Bewohnern nicht zum Wiedereinzug zugestanden. Stattdessen werden die Wohnungen hinterher teuer zur Vermietung oder zum Eigentumserwerb freigegeben, wodurch das Problem der Gentrifizierung entsteht.
„Gerade die Gründerzeithäuser sollen bewahrt werden und für viele verschiedenen Menschen auch zugänglich sein,“ betont Stephan Haberzettl, ehemaliger Bewohner der Goethestraße 73.
Aus der 71 berichtet eine Bewohnerin, dass die Wohnungen noch mehrheitlich belegt sind, aber immer wieder mit Abstandsmahnungen oder Kündigungen gedroht wird.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass es in der Hausgemeinschaft kreativ und bunt sein darf mit unterschiedlichen Gehaltsklassen,“ erzählt sie sehr ergreifend. Ihr Mut, Emotionen zu zeigen, erntet großen Applaus, Zustimmung und Zusammenhalt bei den protestierenden Bürgern und Anwohnern.
„Darum bin ich dankbar für den Anklang bei diesem Protest, der nicht mit Waffen und Gewalt, sondern mit Federspitze und Texten etwas bewirken soll.“
Oder mit Sprühkreide, mit der Kinder das Igelsymbol auf den Bürgersteig sprühen, und der IGEL-Walk sein Zeichen setzt.
Im Anschluss daran zogen die Beteiligten der Demonstration unter lauten Rufen wie „Wem gehört die Stadt? - uns gehört die Stadt“ weiter durch die Friedrich-Ebert-Straße, und verschafften ihrem Anliegen geräuschvoll Gehör.
Entmietung und Gentrifizierung hessenweit
Am Annaplatz spricht sich auch Anette Wippermann, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen, mit Blick auf ähnliche Prozesse der Gentrifizierung gegen Mieterhöhung und Luxusmodernisierung in Frankfurt aus: „Neben Normalverdienern, besonders im sozial arbeitenden Bereich im Erziehungs- oder Krankenwesen, die davon betroffen sind, greift die Wohnungsnot auch auf andere Gruppen über.“
Annette Wippermann, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen gibt Einblicke wohnpolitische Situation in Frankfurt. Foto: Reimund Lill.
Denn es fehlen sowohl barrierefreie Wohnungen für ältere oder behinderte Mitbürger und Mitbürgerinnen, bezahlbare Wohnheimplätze für Studierende, als auch Wohnungen für Menschen mit besonderen Lebenslagen.
„Wohnungspolitik darf keine Wirtschaftspolitik, Wohnungspolitik muss Sozialpolitik
sein!“, betont sie abschließend, was neben ihren genannten Forderungen nach bezahlbaren Wohnraum oder auch Wohnungsgemeinnützigkeit auf großen Anklang innerhalb der Beteiligten des IGEL-Walks stößt.
Auch denkmalgeschützte Häuser sind betroffen
Als letzte Station ziehen die Demonstrierenden in die Sophienstraße 1, deren Bewohner das Problem der Brandschutzauflagen als Vorwand zum Auszug besonders stark betrifft. „Es sind auch hier schon sehr Viele ausgezogen. Ich bin noch da und werde hier in Zukunft noch leben!“, teilt dortiger Bewohner Torsten Schmidt mit.
Torsten Schmidt aus der Sophienstraße 1 berichtet aus erster Hand von der Entmietungsproblematik. Foto: Reimund Lill.
Der Wille der Bewohner, zu bleiben ist stark. Doch der Konflikt zwischen dem notwendigen Auszug aus Sicherheitsgründen, um Fälle wie den Großbrand Londoner Grenfell Tower zu vermeiden, und nicht zugestandener Wiederbewohnbarkeit derselben Bewohner ist sehr groß. Der gestellte Antrag auf Abriss der Sophienstraße 1, obwohl das Haus denkmalgeschützt ist, verdeutlicht die Verlagerung des Schwerpunkts der Vermieter auf Wirtschaftlichkeit und nicht auf die Sicherheit der Bewohner.
Es bedarf folglich viel weiterer Ausdauer und Gegenwehr, um weitere Bewohner vor der Entmietung zu bewahren, doch mit dieser Demonstration ist bereits ein erster Schritt getan.
„ Es war ein kurzer, bunter und vor allem inhaltsreicher IGEL-Walk“, sagt Stephan Haberzettl abschließend, ehe der Abend bei gemeinsamen Gesprächen und kühlenden Getränken im Hinterhof der Sophienstraße 1 ausklingt.
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