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Die gute Botschaft

Leicht überzogen hätte man auch sagen können: die frohe Botschaft... Klappentext: "Weltweit beschäftigen sich mehr Menschen mit einer Verbesserung der Lebenssituationen, der Umwelt oder der Umsetzung der Menschenrechte, als man zu träumen gewagt hätte!" Jedenfalls hier tippsenfrisch die Kolportage von der gestrigen Aufführung des Stücks "Revolution: Alles wird gut" in der kleinen Dock-4-Bühne, die war voll. (Attraktivität? "Revolution" hatte man schon lange nicht mehr gehört??). Je zwei Protagonisten und Protagonistinnen des Brachland-Ensembles vor einer großen Pinnwand mit Denkzetteln und Parolen. Die Zentral-Parole an jeden einzelnen, wie die Welt zu verbessern sei.
Lockere Szenencollage aus kleinen Einzelnachrichten, Berichten von Besuchen auf Kontinenten in Dossierform, Musikeinspielungen, Großbildschirm, der Gag mit der live-Außenreportage durch Ali via I-phone zur zentralen Frage; lustige Antworten wie: Man könnte erst mal an sich selbst arbeiten, oder: mehr lächeln. (So erwischt, fiel den Leuten erstmal nichts Weltbewegendes ein..)
Der Beginn ganz nach meinem Herzen: Ein vorgetragenes Stakkato aus ellenlangen Schlechtnachrichten. Basso ostinato schmerzkomisch: Unter all dem Schlamassel das Walfischsterben nicht vergessen! Dieselbe Regung wie die 'schlechte Bürgerin': Wieso informierst Du Dich nicht? Weil ich/wir diese ganze Katastrophen-Geilheit nicht mehr sehen/hören können. Drum ja die umgekehrte Perspektive. Wunderbarste kleine Gegen-Nachrichten, nur eine herausgegriffen: Die italienische Gemeinde namens Riace (rund 2000 Ew.), Reggio Calabria, führt die Stacheldraht-Politik der EU ab absurdum, indem sie Flüchtlinge begrüßt. Folge: Verfallende Häuser werden renoviert, der Fortbestand der Schule ist durch zunehmende Kinderzahl garantiert, usw. Die Lehrerin bringt Italienisch bei, umgekehrt lernt sie zB Syrisch. (Hier der damalige ZEIT-Bericht.)
Die Fülle der Informationen ist hier nicht wiederzugeben. Dazu sehe man hier.
Kleine Nachbemerkungen. 1: Kurz vor Beginn quetscht sich eine gegen sibirische Kälte verpackte Frau neben mich, die eigentlich 1 1/2 Stühle gebraucht hätte. Der Alptraum eines Konzentrationswilligen beginnt: Permanentes Seufzen der Nachbarin, ebenso das Rascheln der Kleidung; die orangefabene Handtasche (einer Frau!) steht in ihrem Lebenszentrum; sie (die Tasche) muss mal hoch- und dann wieder heruntergelassen werden. Ich fühle mich ins Szenario der Aufführung versetzt: Ist das eine gute Nachricht, dass ich mit dieser Frau in einer Gesellschaft lebe? Vorerst noch unentschieden.
2: Zum Schluss wird es des Guten ein bisschen zu mulmig. Man bekommt das Gefühl, in einer sponsored performance der Bundeszentrale für politische Aufklärung zu sitzen. (Stimmt ja auch: bitte nachsehen). Daher eine Schlussfrage aus der Zuschauerschaft: Bleiben diese wunderbaren Individuellen Entwürfe zur Weltverbesserung solche, oder könnte man sich eine [synergetische, praktische] Zusammenschaltung vorstellen, die ihrerseits eine Andersheit zur kurrenten Litanei bilden könnte, dass "wir" das "Volk" wären, oder gar das internationale Volk? Wer dieses schüfe, hätte nicht nur einen "Nobelpreisen" (Ernst Jandl) verdient.
Veranstaltung animierend, sehenswert, teilnehmenswert. Neuer Schwung in alten Schläuchen.

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Marlis Cavallaro am :

Danke für den netten Bericht!!! - da wäre ich auch gerne dabei gewesen, kam zu spät und geschlaucht nach KS zurück....
Das Stück scheint mir eine zu Theater gemachte Fortschreibung oder eine Verwandte der "Weltkarte der erfolgreichen gewaltfreien Aktionen" zu sein. Die Dichterin Birgit Berg hatte eine solche vor Jahren entwickelt - man konnte mit vielen Fähnchen und Kärtchen auf einer großen Globuskarte zeigen, an wie vielen Orten und wieviel mehr, "als man zu träumen wagt", Erfolge durch nicht-gewaltsame ("gütekräftige") politische und Widerstandshandlungen erzielt worden sind. Es gab auch mal die Idee in der Friedensbewegung, jene Weltkarte online darzustellen - wie weit das gediehen ist, ist mir nicht bekannt.

MR am :

Ja die "Gütekraft" ist auch so ein Begriff. (Martin Arnold, Versuch der Übersetzung von Ghandis "Satyagraha", klingt bei uns ein bisschen staubig-"väterlich"). Nach dem gestrigen Positiv-Überschwang mit vielen köstlichen Beispielen, die ich leider nicht alle habe wiedergeben können, meldet sich der Alltagsverstand zurück: Friedens-Alternativen wähnen sich schon immer auf der Seite des Guten und überlassen das Böse den Gewalttätern - von den vermeintlich Neu-Frauen aus gesehen natürlich den Männern. Es "herrscht" ein Unterbeschäftigungs-Zustand mit einem der ältesten Menschenantriebe: Gewalt. (Steigerung: GRausamkeit. Hénaff) Die von uns immer angerufene Initialzündung westlicher Kultur, der griechische Welten- und Götterhimmel, war mythologisch voll von Tod, Raub, Vergewaltigung, Ehebruch etc. pp. Da ist die gegenwärtige Flimmersternchenkampagne ein Dreck dagegen!
Also: Immer MINDESTENS zwei Kräfte in Beschäftigung miteinander.

Marlis Cavallaro am :

Jo.
Da der Pendel aber seit Jahrtausenden mehr auf die eine Seite schwinget...
Vielleicht könnte man zwischen dämlichen und klügeren Friedens.... unterscheiden.
Die klügeren wissen was von der eigenen schwarzen Seele...

Klaus Baum am :

Ich wähne mich gerade auch. Weiß nur noch nicht als was?

MR am :

Ich kann nicht rauskriegen, wo das "Wähnen" herkam. Aber vielleicht: Volkshochschule?

MR am :

Der Vollständigkeit und anstandshalber im Nachtrag noch die lebenden Akteure: Konzept und Regie: Dominik Breuer, Gunnar Seidel; Ausstattung: Franziska Idensee; Dramaturgie: Maria Isabel Hagen, Inge Zeppenfeld; Spieler: Sophie Bartels, Anika Pinter, Ali Can, Dominik Breuer; Videoanimationen: Felix Kramer; Disposition: (was das?) Morgane de Toeuf. - Das ganze aus dem Rahmen von "Demokratie leben!", einer Tour der Landeszentrale für politische Bildung NRW. - Ich habe heute dort angefragt, welche Gesamtkosten da entstanden sein mögen. Ziel: Die Gegenrechnung der materialen und unromantischen Bedingungen für die Möglichkeit einzelner 'Bürger', gegen den Schwall der Negativnachrichten wenigstens an eine gute zu kommen...

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