Schurri, Schurri
Als ich* vor 37 Jahren zum ersten Mal in Kassel auf einer Karnevalsparty beim Studentenpfarrer eingeladen war, bin ich fröhlich gestimmt und als „alts Schächtele“(zu Deutsch: alte Schachtel) verkleidet schwungvoll in die Gesellschaft reingeplatzt, auf die Leute zugestürzt, habe mein Späße getrieben, bis ich bemerkte, dass die Männer sich angemacht fühlten und die Frauen böse guckten. Ich schaute mich verunsichert um, suchte ein Eckchen und beobachtete von dort aus einer Art Trauerfeier mit Pappnasen. Aus der Ecke arbeitete ich mich Schritt für Schritt in Richtung Ausgang und verschwand nach einer Stunde unauffällig. Nie wieder gehe ich in Nordhessen auf eine Karnevalfeier, habe ich mir damals geschworen und das habe ich auch eingehalten. Ich bin Süddeutsche, ich komme vom Bodensee, wo der Karneval Fasnet heiß und wo man weiß, was sich gehört. Wirklich Blödsinn machen und feiern, feiern, feiern. Dass man jeden und jede anquatscht und völlig Verdrehtes von sich gibt, ist völlig normal. Und viel Theater machen gehört dazu und ordentlich laut singen, so was wie: „Hoorig, hoorig, hoorig isch die Katz, und wenn die Katz it hoorig isch, dann fängt sie keine Mäuse nicht,“ und tanzen wie der Lump am Schtecke und trinken.
Mein Vorsatz hat bis vorgestern gehalten.
Mein Vorsatz hat bis vorgestern gehalten.
Fritz* und Katka* sind Schuld daran und Heidi* auch. Die wohnen in Volkmarsen, in einer katholische Enklave und da sei die Hölle los, hieß es. An Altweiber ziehe man dort durch die Kneipen, das wären aber nur noch drei und alles sei gerammelt voll. Auch diesmal habe ich mich wieder als „alts Schächtele“ (in Deutsch: alte Schachtel) verkleidet, was jetzt nicht mehr so ein großer Aufwand war wie vor 37 Jahren und habe mir überlegt, dass ich im Nebenberuf Drogendealerin bin. Dazu nahm ich eine Handtasche und befüllte sie mit schweizer Drogen (Ricola aus Laufen), deutschen Drogen (ein Fläschchen 4711 zum Schnüffeln aus Köln), österreichische Drogen (Kamillenteebeutel importiert aus Düsseldorf), Speed (Traubenzucker mit Fruchtgeschmack, Herkunftsort unbekannt) und amerikanische Drogen (Kaugummi, weiß Gott woher). Fritz war skeptisch, ob das in Volkmarsen ankommt. Katka zog sich ein sexy Pailettenkleid über, das saß wie angegossen und Fritz eine Schwarzhaarperücke und eine rotes Rüschenhemd. Ich häkelte ihm noch eine Goldkette aus Weihnachtsband.
Fritz, Katka, Heidi und ich saßen um den bäuerlichen Tisch in Volkmarsen und aßen zu Abend, als die Tür aufging, und Britta* mit einer Flasche Marillenschnaps erschien. Der Abend war gelaufen. Britta* und ich erkannten, dass wir fürderhin zwei alte Schächtele sein werden und haben uns sofort über Drogen und andere Gebrechen unterhalten. Britta kommt aus der Steiermark, die weiß, wie man Fasnacht oder Fasching feiert. Sie hatte sich einen kleinen Heiligenschein aus Stroh ans kurze Haar geheftet und führte Engels- und Teufelssprüche mit sich, zum Auswählen. Der edle Sonderbrand aus der Steiermark wurde gewürdigt. Auf dem Weg zur ersten Kneipe (Apfelbaum) übten wir den Narrenruf "Schurri", der wird französisch auf der letzten Silbe betont. Angeblich soll es noch ein „Gut Schlauch“ geben, davon haben wir aber den ganzen Abend nichts gehört. Auch vom Prinz Kai I. mit Gemahlin Nicole I. und dem Adjutanten Paul II. haben wir nichts gesehen und das Kinderdreigestirn lag hoffentlich schon in den Betten.
Der Apfelbaum war genagelt voll. Laute Musik und gehöriges Mitsingen waren angesagt, die Menschen hatten sich hübsch verkleidet, besonders eine Bacchantin fiel ins Auge, die war so schön und ihre Mitbacchanten auch. Und alle wollten keine Drogen. Auf meine Frage hin, reagierten sie entsetzt: „ Nein, ich nehme keine Drogen.“ Aber ich wurde immerhin nicht verhaftet oder dingfest gemacht. Einer sagte, er nehme nur Haschisch, da konnte ich ihm zwei Kamillenteebeutel überreichen, für sich und seine Gattin. Dann sagte er, seine Gattin sei seine Droge und küsste sie vor uns lang und anhaltend. Britta und ich schlugen uns die Hände vors Gesicht und schrieen „Ihhhhhh“. Das war die einzige sexuelle Handlung, die wir gesichtet haben. Britta hatte sich darauf sepzialisiert, mit meinem Gehstock die Hütchen der Narren anzustupsen, das gab nur vereinzelt böse Blicke. Die Volkmarser scheinen sehr friedlich zu sein. Bier konnte ich nicht ordern, weil ich an der falschen Stelle stand und der Zapfer nur zapfte und der Gläserwäscher nur Gläser wusch. Die Bedienungen quetschten sich mit Biersteigen durch die Massen und sahen schon arg mitgenommen aus. Die Banane draußen vor der Türe mochte auch keine Drogen, aber das Ricola nahm sie dann schon. „Ach so.“ Wir wechselten zum Phönix. Die Jacken schmeißt man am Eingang auf den Boden und sucht sie dann, wenn man wieder rausgeht. Deshalb wird geraten, alte, abgetragene Jacken anzuziehen, weil man als Narr selten mit der eigenen wieder nachhause kommt. Die Jacke von Fritz war auch deutlich geschrumpft, als er sie im Haufen wieder fand. Im Phönix gabs laute Musik, mitsingende Narren und jede Menge Bier. Auch hier fast alle schön verkleidet, als französische Bistrobesitzer, Tunten oder Moorleichen, Polizisten, Grufties und wieder als Bacchantinnen. Das waren dieselben wie zuvor. Man trifft sich immer wieder in Volkmarsen. Es gab ein wenig mehr Platz, Katka hat wild getanzt mit einem euphorischen Mann, der dafür von der französichen Bistrobesitzerin angeschnauzt wurde, weil er so viel Platz verbrauche. Britta, Fritz und ich haben auch getanzt. Fritz mit dieser und jener Schönen und wir alleine. Und auch an diesem Ort hatten wir keinen Erfolg mit unseren Drogen, Engeln und Teufeln. Nur eine Gruppe wilde Weiber riefen: „Ja“ als ich meine Drogen anbot und als ich die Sorten aufzählte, riefen sie „Alles“. Zum Ausgleich bekamen wir zwei kleine Fläschchen mit Marillenschnaps geschenkt. Britta meinte, der wär nicht schlecht gewesen. Ich verschenkte meinen Klopfer an eine blonde Tunte, die zuerst wie jedermann abwehrend alle Drogen ablehnte, aber dann doch das Marillenfläschchen annahm. Hinterher wollte er aus lauter Dankbarkeit mit mir Hände klatschen, was ich auch getan habe.
Volkmarser mögen offensichtlich nur eine Droge, obwohl Bernd, der mit einer roten Nase auftauchte und erst kürzlich zugezogen ist, behauptet, dass Volkmarsen der größte Drogenumschlagsplatz in Hessen sei. Die örtliche Presse sieht in diesem Bereich auch Probleme. Ich jedenfalls habe reichlich deutsche Drogen fließen sehen und auch konsumiert. Dass es mich dann noch im schwarzen Loch umgehauen hat, das erzähle ich jetzt nicht. Das war, weil ich eine ganz legale Zigarette geraucht habe. Übrigens wurde überall geraucht und das war wie früher, geradezu anheimelig und völlig unclean. Heidi ist die ganze Zeit über zuhause geblieben, sie meint, sie hätte nichts verpasst. Das sind wir ganz anderer Meinung.
*Namen von der Redaktion geändert. In echt heißen die nämlich Franz, Tanja, Doris und Brigitt und ich heiße Elvira.
von links nach rechts: deutsche, österreichische, amerikanische und unbekannte Drogen, die schweizerischen sind ausgegangen.
Fritz, Katka, Heidi und ich saßen um den bäuerlichen Tisch in Volkmarsen und aßen zu Abend, als die Tür aufging, und Britta* mit einer Flasche Marillenschnaps erschien. Der Abend war gelaufen. Britta* und ich erkannten, dass wir fürderhin zwei alte Schächtele sein werden und haben uns sofort über Drogen und andere Gebrechen unterhalten. Britta kommt aus der Steiermark, die weiß, wie man Fasnacht oder Fasching feiert. Sie hatte sich einen kleinen Heiligenschein aus Stroh ans kurze Haar geheftet und führte Engels- und Teufelssprüche mit sich, zum Auswählen. Der edle Sonderbrand aus der Steiermark wurde gewürdigt. Auf dem Weg zur ersten Kneipe (Apfelbaum) übten wir den Narrenruf "Schurri", der wird französisch auf der letzten Silbe betont. Angeblich soll es noch ein „Gut Schlauch“ geben, davon haben wir aber den ganzen Abend nichts gehört. Auch vom Prinz Kai I. mit Gemahlin Nicole I. und dem Adjutanten Paul II. haben wir nichts gesehen und das Kinderdreigestirn lag hoffentlich schon in den Betten.
Der Apfelbaum war genagelt voll. Laute Musik und gehöriges Mitsingen waren angesagt, die Menschen hatten sich hübsch verkleidet, besonders eine Bacchantin fiel ins Auge, die war so schön und ihre Mitbacchanten auch. Und alle wollten keine Drogen. Auf meine Frage hin, reagierten sie entsetzt: „ Nein, ich nehme keine Drogen.“ Aber ich wurde immerhin nicht verhaftet oder dingfest gemacht. Einer sagte, er nehme nur Haschisch, da konnte ich ihm zwei Kamillenteebeutel überreichen, für sich und seine Gattin. Dann sagte er, seine Gattin sei seine Droge und küsste sie vor uns lang und anhaltend. Britta und ich schlugen uns die Hände vors Gesicht und schrieen „Ihhhhhh“. Das war die einzige sexuelle Handlung, die wir gesichtet haben. Britta hatte sich darauf sepzialisiert, mit meinem Gehstock die Hütchen der Narren anzustupsen, das gab nur vereinzelt böse Blicke. Die Volkmarser scheinen sehr friedlich zu sein. Bier konnte ich nicht ordern, weil ich an der falschen Stelle stand und der Zapfer nur zapfte und der Gläserwäscher nur Gläser wusch. Die Bedienungen quetschten sich mit Biersteigen durch die Massen und sahen schon arg mitgenommen aus. Die Banane draußen vor der Türe mochte auch keine Drogen, aber das Ricola nahm sie dann schon. „Ach so.“ Wir wechselten zum Phönix. Die Jacken schmeißt man am Eingang auf den Boden und sucht sie dann, wenn man wieder rausgeht. Deshalb wird geraten, alte, abgetragene Jacken anzuziehen, weil man als Narr selten mit der eigenen wieder nachhause kommt. Die Jacke von Fritz war auch deutlich geschrumpft, als er sie im Haufen wieder fand. Im Phönix gabs laute Musik, mitsingende Narren und jede Menge Bier. Auch hier fast alle schön verkleidet, als französische Bistrobesitzer, Tunten oder Moorleichen, Polizisten, Grufties und wieder als Bacchantinnen. Das waren dieselben wie zuvor. Man trifft sich immer wieder in Volkmarsen. Es gab ein wenig mehr Platz, Katka hat wild getanzt mit einem euphorischen Mann, der dafür von der französichen Bistrobesitzerin angeschnauzt wurde, weil er so viel Platz verbrauche. Britta, Fritz und ich haben auch getanzt. Fritz mit dieser und jener Schönen und wir alleine. Und auch an diesem Ort hatten wir keinen Erfolg mit unseren Drogen, Engeln und Teufeln. Nur eine Gruppe wilde Weiber riefen: „Ja“ als ich meine Drogen anbot und als ich die Sorten aufzählte, riefen sie „Alles“. Zum Ausgleich bekamen wir zwei kleine Fläschchen mit Marillenschnaps geschenkt. Britta meinte, der wär nicht schlecht gewesen. Ich verschenkte meinen Klopfer an eine blonde Tunte, die zuerst wie jedermann abwehrend alle Drogen ablehnte, aber dann doch das Marillenfläschchen annahm. Hinterher wollte er aus lauter Dankbarkeit mit mir Hände klatschen, was ich auch getan habe.
Volkmarser mögen offensichtlich nur eine Droge, obwohl Bernd, der mit einer roten Nase auftauchte und erst kürzlich zugezogen ist, behauptet, dass Volkmarsen der größte Drogenumschlagsplatz in Hessen sei. Die örtliche Presse sieht in diesem Bereich auch Probleme. Ich jedenfalls habe reichlich deutsche Drogen fließen sehen und auch konsumiert. Dass es mich dann noch im schwarzen Loch umgehauen hat, das erzähle ich jetzt nicht. Das war, weil ich eine ganz legale Zigarette geraucht habe. Übrigens wurde überall geraucht und das war wie früher, geradezu anheimelig und völlig unclean. Heidi ist die ganze Zeit über zuhause geblieben, sie meint, sie hätte nichts verpasst. Das sind wir ganz anderer Meinung.
*Namen von der Redaktion geändert. In echt heißen die nämlich Franz, Tanja, Doris und Brigitt und ich heiße Elvira.
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