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„Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate“ * Impressionen aus einer Kasseler Klinik....

(*Die ihr eintretet, laßt alle Hoffnung fahren) Dante, Die Göttliche Komödie, Hölle III, 9)

......die nicht namentlich genannt wird. Sie könnte anders heißen und überall stehen in den in den letzen Jahrzehnten geschaffenen Wüsten der privatisierten Daseinsfürsorgen.
(siehe auch: Der Spiegel Nr. 51 / 2016, „In der Krankenfabrik – Ausgelieferte Patienten, ausgebeutete Ärzte....“)

In Michael Endes Märchen „Momo“ gibt es "ümmer und überrrall"(EAV) das Böse in Gestalt Grauer Herren. Sie überleben einzig dadurch, dass sie den Qualm bestimmter Zigarren einatmen. Die Zigarren drehen sie sich aus der Zeit, die sie den Menschen abpressen oder abschwatzen. Ein geruhsam beim Besenschwingen vor sich hin philosophierender Beppo Straßenfeger oder der Zeitaufwand fürsorglich sich umeinander kümmernder Nachbarn sind ihnen lebensbedrohende Entsetzlichkeiten.
Vielen galt das Buch damals als Warnung davor, wohin aktuelle gesellschaftliche Trends zu führen drohten. Gewisse andere, auf die Durchökonomisierung aller Bereiche schon früh bedachten Kräfte werden die Dystopie allerdings in ihrer neoliberalen Zukunftswerkstatt als feuchten Wunschtraum erlebt haben. Mittlerweile hat der sich erfüllt – Graue Herren sind allem Anschein nach massenweise als logistische und geschäftsführende Fachkräfte angestellt und bestimmen den Alltag, z.B. von Patienten und Arbeitenden in Kliniken. Ausreichender qualitativer Aufwand für Kranke sowie, Pfui Deibel, das Nachfragen lästiger MüPs* scheinen ihnen ebenfalls lebensbedrohende Entsetzlichkeiten zu sein.....wie wir erleben konnten....
(*mündiger Patienten)
.....Für Zwei begann das Jahr nicht märchenhaft. Weib musste am Morgen des 1. Januar den Notarzt rufen, Mann bekam keine Luft. Ein fixer, hochkompetenter und sachlich-freundlicher Notarzt-Sanitäter-Trupp tat das Rettende. Vorläufige Diagnose: schwere Bronchitis. Weib sah ihren Schatz mit Atemmaske im Krankenwagen verstaut in den trüben Neujahrsmorgen entschwinden.
In der Notaufnahme der Klinik überließ das beeindruckende Einsatzteam Mann einem allem Anschein nach von Endes Grauen Herren beherrschten Betrieb.
Weib - inzwischen herbeigeeilt – stellte fest, dass eine Infusion nicht tropfte, deren Inhalt die stressbedingt stark erhöhte Herzfrequenz senken sollte - der Überwachungsmonitor zeigte unverändert einen lebensbedrohlichen Wert. Sie rannte los, um Hilfe zu holen. Eine halbe Stunde später, nach einer zweiten dringlich gemachten Erinnerung, erschien eine ungläubige Pflegekraft („naatüüürlich tropft das!“), stellte dann fest „Ach, tatsächlich, läuft nicht...“, kicherte, riss Witze und organisierte eine neue Infusionsflasche.
Eine zweite Infusions-Braunüle (=spezielle liegenbleibende Infusionsnadel) auf dem rechten Handrücken, zur Verabreichung des Antibiotikums, steckte nicht richtig in der Vene (wie sich herausstellte). Nachts entstand eine Schwellung, der die Nachtschwester gegen 3 Uhr - ohne Überprüfung der Braunüle - mit einem Druckverband meinte begegnen zu können. Tags darauf sah Mann, einige Stunden bevor er von der Überwachungs- auf eine normale Station verlegt werden sollte, dass seine rechte Hand einem aufgeblasenen Gummihandschuh kurz vor dem Platzen glich. Eine gaaanz lockere Schwesternschülerin - mit Fug und Recht dürfte sie „lebensgefährlich strunzdumm“ genannt werden - beschied Mann, dies läge an massiver Herzschwäche, da werde halt Wasser aus dem Gewebe nicht abtransportiert. Das Mädel hatte entweder im Unterricht nicht aufgepasst, oder didaktisch unfähige Ausbilder – Mann als Herzpatient war bekannt, dass Herz bedingte Ödeme beidseitig und nicht in einer plötzlich elefantös anschwellenden Hand auftreten. Er bestand auf Abhilfe. Nach einer ganzen Weile entfernte eine Ärztin die Braunüle, aus der die Flüssigkeit ins Handgewebe und unter die Haut gelaufen war, und verlegte die Infusion in die linke Armbeuge. Ein neuer Druckverband um die maltraitierte Hand sorgte nach und nach dafür, dass die Schwellung abklang. Es gab keine Entschuldigung. Leider war in diesen nächtlichen und morgendlichen Stunden fotografische Dokumentation nicht möglich, als Weib kam, war die Schwellung zurückgegangen – die Hand war noch blassblau angelaufen.

Mann leidet aufgrund einer vor Jahren erlittenen Insektizidvergiftung durch eine hohe Dosis des Mottengifts Permithrin an Polyneuopathie (geschädigtes Gesamtnervensystem), die mehrere Folgeerkrankungen bedingte (u.a. Diabetes, Tumore, Herzrhythmusstörung), ebenso wie an einer durch die Vergiftung verschlimmerten, in der Kindheit erworbenen Lungenschwäche. Aufgrund einiger Erfahrungen und auch ärztlicher Empfehlungen gibt es Pharmaka, die in einem solchen Fall kontrainidiziert sind – entweder schon einmal wegen gefährlicher Nebenwirkungen abgesetzt werden mussten, oder aber gar nicht erst eingesetzt wurden bzw. werden dürfen.
Auf Manns Gesprächsversuche, Ärzten und Pflegepersonal entsprechende Informationen „rüberzubringen“, wurde nicht reagiert.
Um die bedrohlich hohe Herzfrequenz zu senken, setzten sie ein Mittel ein, das bei schwerer Polyneuropathie eventuell kontraindiziert sein müsste. Die Hautoberflächen an Beinen und Händen wurden daraufhin tauber als zuvor schon, der Tremor der Hände (willentlich nicht kontrollierbares Zittern) - vorher schon gelindert - nahm wieder zu. Jenseits der Frage, ob es im Augenblick der Nothilfe medikamentöse Alternativen hätte geben können (vielleicht nicht...), geht es um fehlende Kommunikation – keine Information, keine Rücksprache, kein Dialog, keine Erklärung – auch in den folgenden Tagen wurde jede Kommunikation bei der Verordnung von Medikamenten verweigert.
Fast alle Medikamente aus der täglichen Pillensammlung wurden nicht bezeichnet, nicht begründet, auch nicht auf wiederholte Nachfrage. Als die zu Hause recht gut eingestellten Blutzuckerwerte ins Unermessliche zu steigen begannen, informierte man nachträglich, dass man nun ein Mittel wieder absetze....(Cortison) Eine Schwester versuchte ein Medikament, von dem Mann dezidiert mitgeteilt hatte, dass er es auf keinen Fall einnehmen würde, da er die Folgen schon einmal erlebt und zudem ein Kardiologe davon abgeraten hätte, gleichwohl unterzuschieben. Als Antwort auf die Frage (Weib war anwesend), ob dies nicht doch jenes Mittel sei, fauchte sie, das sei nicht Manns Sache, er solle das jetzt gefälligst nehmen, „ich werde Sie schon nicht vergiften“.
Dass es doch dieses Mittel gewesen war, bewies die Tatsache, dass daraufhin am nächsten Tag eine Ärztin erschien (Mann war inzwischen über SMS zwecks argumentativer Rückenstärkung von Weib mit zusätzlichen ärztlichen Infos zu Kontraindikationen versorgt worden), die das zugab. Sie gestand ein, unter Medizinern gebe es tatsächlich strittige Fragen dazu (danke schön, konnte jeder Mensch aus dem Internet erfahren), man könne es so und so sehen, und, naja, wenn er nicht wolle....Dass das Mittel auf dem Hintergrund seiner Krankengeschichte rundum kontraindiziert war und sie gar nicht erst hätten in Erwägung ziehen dürfen, es ihm zu geben – geschweige denn auch noch mit List und Tücke durch die Krankenschwester unterzuschieben... gab sie nicht offen zu.

Das Antikoagulationsmittel Marcumar wurde, da eine Wechselwirkung mit einem anderen Mittel nicht berücksichtigt worden war, anfangs zu hoch dosiert.

Ein Arzt – eigentlich müsste er kompetenter als eine Pflegekraft mit Injektionsnadeln umgehen können - verursachte ein großes Hämatom am Arm. (Foto hochladen nicht geklappt :-( )

Zum Grundwissen über Injektionen und Infusionen gehört, dass erst Flüssigkeit bis zur Nadelspitze vorgedrungen sein muss, ehe gestochen wird, damit keine Luft in die Venen gelangen kann. Eine junge frohnatürliche Nonchalante schien das für überflüssig zu halten – sie stach einfach ein. Erst als Mann dies gegenüber anderen Pflegepersonen publik machte, wurde dann darauf geachtet.

In einem nächtlichen Anfall , den Mann für eine Angina Pectoris hielt (von den Symptomen her konnte man nicht sofort eindeutig einschätzen, ob es eine AP war), hielt die Nachtschwester keine ärztliche Kontrolle für nötig.

Dringend bei einer spastischen Bronchitis sind Inhalationen anzuwenden mit entzündungsmindernden und schleimlösenden Vernebelungen sowie Sauerstoff. Die fanden in den ersten Tagen des Klinikaufenthaltes bis auf die anfänglichen Sauerstoffgaben sehr selten und nicht täglich statt. Eine Schwester ließ ein diesbezügliches Protokollformular auf dem Tisch des Krankenzimmers liegen. So entdeckte Weib (sechs Tage nach Manns Einlieferung in die Klinik), dass es von Anfang an eine ärztliche Verordnung von vier Inhalationen täglich gab.

Zugleich sah sie, dass Inhalationen dokumentiert worden waren, die nicht stattgefunden hatten. Mann und Weib sprachen darüber in Gegenwart einer Krankenschwester, Weib fotografierte den Bogen, legte ihn auf Manns Nachttisch, so dass nicht unbemerkt hineingeschrieben werden konnte. Es liegt nahe, dass die anwesende Schwester, die korrekt eine abendliche Inhalation ermöglichte, dies weitergab – ab dem folgenden Tag wurden täglich alle vier verordneten Inhalationen nicht nur dokumentiert, sondern auch tatsächlich getätigt. (Foto hochladen nicht geklappt :-( )


Diabetes erfordert nicht unbedingt eine Sonderdiät, sondern ordentliche frische und vollwertige Ernährung, Kontrolle über das, was man zu sich nimmt und selbstverständlich möglichst wenig isolierte Kohlehydrate oder süße Obstsäfte...eigentlich allseits bekannt, nur in Häusern, wo es gesund zugehen sollte, nicht immer so ganz klar?

Diese Mahlzeit jedenfalls wurde Mann hingestellt, dessen insulinpflichtige Zuckerkrankheit bekannt war – neben akzeptabler Gemüsemahlzeit geballtes No-Go: Weißmehlbrötchen, gezuckerter Pudding, sehr süßer Schokokuchen. (Foto sollte hier sein, ließ sich noch nicht hochladen).

Gegen Ende der Behandlung wurde zum dritten Mal innerhalb der 11 Tage des Aufenthaltes eine Röntgenuntersuchung verordnet. Es war bekannt, dass Mann zwei Jahre zuvor wegen eines Tumors einer längeren Strahlentherapie mit der Folge starker körperlicher Schwächung unterzogen, im Jahr zuvor wegen Lungenentzündung geröntgt und insgesamt mit Strahlen einige Jahre lang mehr als „genug“ belastet worden war. Eines der schonenderen bildgebenden Verfahren zog man nicht in Erwägung. Diese weitere Röntgenbestrahlung verweigerte Mann

Als Weib ihn abholen kam, war Mann noch schwach – er ist ohnehin in Folge der toxischen Nervenschädigung gehbehindert. Per Straßenbahn (und Fußweg dorthin) war der Heimweg noch nicht wieder zu bewältigen. Er erbat die Bescheinigung, auf deren Grundlage Taxifahrer direkt mit den Krankenkassen abrechnen können. Der Schein wurde ihm hastig in die Hand gedrückt. Froh, dem Orkus zu entrinnen, überprüften wir den Zettel nicht. Im Taxi stellte sich heraus, dass er fürs Einreichen bei der Krankenkasse nicht taugte: außer dem aufgeklebten Patientendaten-Etikett befand sich keinerlei ärztliche Eintragung darauf, aus der ersichtlich hätte sein können, warum der Transport unabdingbar war. Wir zahlten.
Daheim waren weit und breit keine Grauen Herren sichtbar, drum legte Mann sich mitten am Tage auf die faule Haut.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute....












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Kommentare

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Wolfgang am :

Umso erstaunlicher mein Eindruck von einem dreitägigen Notfall-Aufenthalt (als Kassenpatient!!) in einer solchen Einrichtung: Das "niedere" Personal bis hin zu den Stationsärzten beiderlei Geschlechts war überaus freundlich und hilfsbereit - vorausgesetzt, man hält sich an die Regel "Wie man in den Wald hineinruft...."

Als aufmerksamem Beobachter entgeht einem natürlich dennoch nicht, dass das gesamte Personal unter einem enormen Zeitdruck und hoher Belastung arbeitet. Und deshalb ist das Hinterfragen jeder Maßnahme und jeder Medikamentenverordnung in der Tat sinnvoll und notwendig. Meine Erfahrungen in dem Massenbetrieb Klinik waren jedenfalls durchaus positiv.

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