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Erlebnis für Sinn und Verstand

Foto: Reimund Lill
Musik, Information und Diskussion –Bei der Konzertlesung von Alberto Acosta und Grupo Sal am 3. Dezember im Südflügel des KulturBahnhofs verschmolzen Leidenschaft und Rhythmus mit der Weltanschauung indigener Völker Südamerikas und den daraus resultierenden Ideen für ein gutes Leben in einer von Konsum geprägten Gesellschaft zu einer bunten Diskussion über ein neues und erstrebenswertes Miteinander von Mensch, Gesellschaft und Natur.



„Vor ein paar Jahren war ich allein im Auto durch eine wunderschöne Landschaft unterwegs und habe angefangen ein Lied zu summen, das ich nicht kannte“, berichtete Omar Plasencia, Sänger und Musiker der lateinamerikanischen Band Grupo Sal. „Als ich das Lied zu Hause notieren wollte, hatte ich es vergessen. Ich habe lange versucht, mich an die schöne Melodie zu erinnern, doch dies gelang mir erst, als ich zwei Wochen später erneut dieselbe Landschaft passierte. Den ganzen Weg sang ich die Melodie und schrieb sie, zu Hause angekommen, sofort auf.“ Anschließend an die Geschichte des Titels „Fantasia Musical“ erklangt im Südflügel des Kulturbahnhofs die rhythmische Komposition, welche schlagartig für gute Laune und lächelnde Gesichter sorgte. Seit über 30 Jahren bemüht sich Grupo Sal in Zentraleuropa und vor allem in deutschsprachigen Raum um eine Brücke zwischen den vielfältigen Landschaften Lateinamerikas und brisanten entwicklungs- und umweltpolitischen Themen. So brachten die Musiker auch am 3. Dezember bei der Konzertlesung „Buen Vivir. Vom Guten Leben“ musikalische Virtuosität und Leidenschaft mit der ernsten Thematik des „Buen Vivir“-Konzepts sowie der Information und Diskussion zur Notwendigkeit nachhaltiger Lebensweisen zusammen. Die Initiative für die Veranstaltung sowie die Organisation übernahmen zahlreiche Akteure aus Kassel und Region: Transition Town, Karibu Welt- und Regioladen, Fachbereich Postkoloniale Studien der Universität Kassel, Die Kopiloten, KulturNetz Kassel, StadtZeit Kassel Magazin und die Katholische Kirche, Dekanat Kassel-Hofgeismar.
Foto: Reimund Lill
Die Schirmherrschaft übernahm die Stadt Kassel. „Die Welt ist eine Kugel und an jeder Stelle gibt es Möglichkeiten, ein gutes Leben zu führen. Wir leben in einer Welt, die ein großer Schatz ist und dürfen nicht vergessen, dass wir diese nur geliehen haben“, sagte Stadtbaurat Christof Nolda, bevor er Alberto Acosta dazu einlud, sich in das Gästebuch der Stadt Kassel einzutragen.

„Die Krone der Erschöpfung“
Der ehemalige Energie- und Bergbauminister sowie der Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors im Jahr 2008 und einer der führenden Intellektuellen Lateinamerikas betrat zwischen den musikalischen Darbietungen, welche den Zuschauer aufgrund der enthusiastischen Präsentation, der Handhabung unterschiedlicher Musikinstrumente sowie die Faszination in der Stimme und Mimik der Bandmitglieder tief berührte, die Bühne. Er erschütterte die Zuschauer mit Daten und Fakten zur aktuellen Situation im Bereich der Umwelt- und Finanzpolitik. „Der Mensch ist nicht mehr die Krone der Schöpfung. Er ist die Krone der Erschöpfung geworden“, fasste der Autor des Buches „Buen Vivir“ seine Ausführungen zu der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, der Verschmutzung der Weltmeere, dem Schmelzen der Polarkappen sowie dem stetigen Streben des Menschen nach Wirtschaftswachstum zusammen. „Wer glaubt, dass exponentielles Wachstum in einem Land fortwährend möglich ist, ist entweder verrückt oder ein Wirtschaftswissenschaftler“, so Acosta. „Wir können nicht so weiter machen wie bisher. Wir stehen an einem Scheideweg und steuern auf eine Katastrophe zu.“ Das Konzept des „Buen Vivir“ wendet sich den Lebensanschauungen und Weltsichten der indigenen Völker Südamerikas zu und strebt auf diese Weise mit seinen tiefgehenden Vorstellungen von Menschen- und Naturrechten nach einer nachhaltigen Lösung des Problems. „Dahinter stehen Philosophien, obwohl keine Philosophen am Werk waren, und Praktika, für die keine Theorien existieren“, erklärt Alberto Acosta das Konzept, welches ein Leben des Menschen in Harmonie mit sich selbst, mit anderen Menschen, der Gemeinschaften untereinander und der Weltgemeinschaft mit der Natur zum großen und Zufriedenheit versprechenden Ziel gesetzt hat.

„Durch Gemeinschaft die Welt verändern“
Foto: Reimund Lill
„Ich bin kein Arzt und stelle keine Rezepte aus. Ich bringe nur Ideen zur Diskussion“, sagt Alberto Acosta. „Wir müssen durch die Gemeinschaft die Welt verändern. Jeder ist ein Politiker. Brecht sagte: Der schlimmste Analphabet ist der politische Analphabet. Gemeinschaften müssen diskutieren.“ So erfolgte auch am Ende der Konzertlesung eine Diskussion im Saal. Nach einem kurzen Interview des freien Journalisten Thomas Papmuch mit Alberto Acosta bekamen auch die zahlreichen Zuschauer im vollständig ausverkauften Südflügel des Kulturbahnhofs die Möglichkeit, ihre Fragen an den Intellektuellen, Politiker und Buchautor zu stellen. Das Fazit: „Es gibt keine passend Lösung für alle. Wir müssen nachdenken und in einen Dialog kommen. Am besten mit einem Bier. Das gehört zum guten Leben dazu“, sagte Alberto Acosta mit einem Augenzwinkern. Kurz darauf kündigte auch die Grupo Sal das letzte Stück an. „Schließlich wollen wir auch ein Bier trinken. Buen Vivir für alle“, scherzte einer der Musiker und Sänger Fernando Dias Costa. Anschließend erklang eine rhythmische Salsa-Melodie, welche die Zuschauer von den Stühlen holte. Der perfekte Abschluss für einen gelungenen Abend, der eine ernste Thematik mit leidenschaftlicher und mitreißender Musik vereinte. So muss "Buen Vivir" sein.

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