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Unternehmer, Visionär, Mäzen

Die Vorträge wurden bei der Eröffnungsveranstaltung musikalisch untermalt.
100 Jahre sind seit Sigmund Aschrotts Tod vergangen. Mit einer Veranstaltungsreihe erinnern Stadt Kassel, Kassel West e. V. und die Freunde des Stadtmuseums Kassel e.V. an das Leben und Wirken der Familie Aschrott.

Alle Sitzplätze im Saal der Stadtverordneten des Rathauses waren am Abend des 5. Mai belegt als um 19.30 die Eröffnung der Veranstaltungsreihe zum 100. Todestag Sigmund Aschrotts mit stimmungsvoller Gitarrenmusik begann. Oberbürgermeister Bertram Hilgen begrüßte die Bürgerinnen und Bürger unter denen sich Vertreter aus den Bereichen der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche versammelt hatten. Auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde fanden sich im Saal ein. "Diese Gemeinde ist heute kleiner als zur Zeit Aschrotts, aber fest in unserer Mitte verankert", sagte Hilgen und verwies damit indirekt auch auf die Schwierigkeiten, mit denen der erfolgreiche und innovative Unternehmer, der Kassel maßgeblich mitgeprägt und gestaltet hat, konfrontiert war. Trotz seiner visionären stadtpolitischen Ansichten, deren Früchte noch in unseren Tagen sichtbar, erlebbar und, so nicht vom Krieg zerstört, bewohnbar sind, wurde Sigmund Aschrott zur Zielscheibe antisemitischer Hetze.
Wie er trotz der Steine auf seinem Weg in Kassel und Berlin sein Leben gestaltete, berichtete anschließend Wolfgang Matthäus, Vorstandsmitglied des Vereins Kassel West e.V. "Unser Blick richtet sich zwar nach vorne, dennoch sind wir uns der Vergangenheit bewusst", sagt Matthäus. Der Verein im Vorderen Westen begleitet zustimmend Bauvorhaben, die dem gründerzeitlichen Bild der Stadt Kassel gerecht werden. Eines solcher Bauprojekte ist der Ausbau der Friedrich-Ebert-Straße zum Boulevard, inspiriert von der Hohenzollernstraße, dessen Planung und Gestaltung auf Sigmund Aschrott zurückgeht.

Ein Mäzen über den Tod hinaus
Ab den 1860er Jahren spielte der "Vater der Textilindustrie" eine bedeutende Rolle bei der Erschließung des Hohenzollern-Viertels vom Ständeplatz bis zur Querallee. Mit Schenkungen und Stiftungen förderte er das Kasseler Gemeinwesen maßgeblich. "Diese gingen über das Maß der wirtschaftlichen Notwendigkeit hinaus", sagt Wolfgang Matthäus. So fußen die Adventskirche, die anglikanische Kirche sowie die Stadthalle auf dem Boden, den Sigmund Aschrott der Stadt zur Verfügung stellte. Auch er selbst hatte seinen privaten Wohnsitz sechs Jahre in der Annastraße 18 bevor er Kassel nach dem Tod seiner Mutter in Richtung Berlin verließ, wo er mit 88 Jahren verstarb. Doch damit war sein Mäzenatentum nicht vorbei. "Das monumentale Aschrottmausoleum hatte im Holocaust eine besondere Funktion: Juden, die versuchten ihr Leben zu retten, haben sich auf dem Friedhof versteckt und konnten im Mausoleum eine schützende Behausung finden", berichtet Professor Wolfgang Benz in seinem Vortrag zur Emanzipation, Verfolgung und Neubeginn der Juden im 19. und 20. Jahrhundert, in dem er der Legende auf den Grund geht, dass die jüdischen Bürger vor dem Beginn des Nationalsozialismus vollständig etabliert waren. "Diese Emanzipation blieb unvollständig", berichtet der international anerkannte Vertreter der Antisemitismusforschung und stellt die abschließende Frage "Warum die Legende?"
Am Ende des Abends schloss Bertram Hilgen die Veranstaltung. "Ich habe sehr viel gelernt", sagte der Oberbürgermeister. Die Zuhörer nickten zustimmend.

Aschrotts Kassel erleben
Oberbürgermeister Bertram Hilgen
Doch für Interessierte geht das Lernen weiter! Die Veranstaltungsreihe der Vereine Kassel-West e.V. in Kooperation mit den Freunden des Stadtmuseums Kassel e.V. und der Stadt Kassel hat noch viel mehr zu bieten. Unter dem Titel "Vom Park Aschrotts zum Aschrottpark" unternimmt Wolfgang Matthäus Spaziergänge. Ausgewählte Orte, die mit dem Wirken der Familie Aschrott verbunden sind, sowie Karten und Fotografien bringen den Beteiligten die visionäre Stadtplanung Sigmund Aschrotts nahe. In einer weiteren Führung "History to go. Geschichte und Geschichten über die Familie Aschrott und die Entstehung des ehemaligen Hohenzollernviertels" berichtet Dr. Bettina Becker den Teilnehmern über die Stadtbild prägenden Schenkungen und Stiftungen des Unternehmers von der Stadthalle bis zum Bahnhof Willhelmshöhe. Auch das Stadtmuseum bietet eine Führung an. Klaus Wölbing stellt Sigmund Aschrott als "Wohltäter - Textilfabrikant - Bodenspekulant und Jude" vor. Ein weiteres Highlight der Veranstaltungsreihe ist die Ausstellung in der Aschrotthalle des Kasseler Rathauses, in der das Modell für den Aschrottbrunnen mit Zeichnungen und Fotografien sowie weitere ausgewählte Kunstwerke des Künstlers Horst Hoheisel präsentiert, der 1987 den Brunnen in Form einer im Boden versenkten Negativform als Mahnmal neugestaltete. Die Veranstaltungen finden im Zeitraum zwischen 10. Mai und 23. September statt und sind überwiegend kostenfrei.

„Vom Park Aschrotts zum Aschrottpark“(Führung von Kassel-West e.V. mit Wolfgang Matthäus)
10.5.15 – 15.00 Uhr
24.5.15 – 15.00 Uhr
23.9.15 - 17.00 Uhr
(vhs – Veranstaltung, Teilnehmergebühr: 7 €)
Treffpunkt: Parkstraße Ecke Westendstraße
Ende: Aschrottheim

„History to go. Geschichte und Geschichten über die Familie Aschrott und die Entstehung des ehemaligen Hohenzollernviertels.“
(Führung mit Dr. Bettina Becker)
16.5.15 – 15.00 Uhr
Treffpunkt: vor der Stadthalle
Ende: Bundessozialgericht / Bahnhof Wilhelmshöhe

Sigmund Aschrott: Fabrikant – Großgrundbesitzer – Bankier
Führung des Stadtmuseums mit Klaus Wölbling
01.09.2015, 15.00–17.00 Uhr
Treffpunkt: Aschrottbrunnen vor dem Rathaus, Obere Königsstrasse

Das Modell für den Aschrottbrunnen Ausstellung – Mit Zeichnungen und Fotografien (1987)
Vom 2. Juli bis 31. Juli
Aschrotthalle des Kasseler Rathauses (2. Stock, Altbau)
Eröffnung: 1. Juli, 17 Uhr

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