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Kritik der reinen Empörung

Ich lies in einem vorherigen Beitrag verlauten, dass ich mich darüber empöre, wenn ich mit einem "Empört euch!" Appell konfrontiert werde. Es wäre auch nicht richtig, zu behaupten, dass ich mich nicht schon im Übermaß empört hätte. Über Leistungsschutzrecht, Regelsatz, Hartz4, Onlinedurchsuchung, Flughafen, Bahnhof, ACTA, ESM, die Regierung, die Gesetze, die Politiker und dem ganzen Rest. Es ist nur alles immer noch da.
Lese ich den Appell, dann fühle ich mir vorgehalten, ich hätte noch nicht genug gemacht. Ich muss mich nur richtig empören, dann ändert sich auch etwas. Richtig eben, also noch viel mehr.

Ein empörtes Volk kann aber Kanzlerin nicht beeinflussen. Dass ein Volk empört ist, wenn einschneidende Veränderungen geschehen, ist vorhersehbar. Wenn das Volk nichts anderes tut, als vor Empörung paralysiert zu sein, dann macht Kanzlerin einfach weiter. Das worüber sich das Volk heute empört, wird bald vergessen sein. Wenn die nächste Empörung kommt.

Empörung kann dafür einem Führer sehr von Nutzen sein. Ist das Volk erst einmal empört, dann lässt es sich schnell dafür begeistern, die Ursachen des Übels zu bekämpfen. Egal welche. Und egal wie.
Und nun zu etwas ganz anderem.
Meine Empörung war groß, als ich dieses Jahr wieder lesen musste, dass die strikte Einhaltung des Tanzverbots gefordert wurde. Damit die Empörung nicht in die Resignation führt, recherchierte ich in Sachen Gegenmaßnahmen.
Es ist richtig, - kam ich mit mir überein - dass man einem Menschen in Pietät gedenkt, der sich für eine bessere Welt einsetzte und deswegen grausam ums Leben kam. Das kann ich nachvollziehen und würde auch nicht wollen, dass jemand pietätlos auf dem Toten herumtanzt.

Aber Jesus war nicht der einzige. Da waren noch die tausenden anderen Ketzer, die auf grausame Weise vom Leben zum Tod gebracht wurden. Und zwar von den Nachfolgern Jesu. Mit Mitteln, die teilweise das Kreuz als reine Wellness empfinden lassen. Wenn eines Tages derer Leidensgeschichten gedacht wird, dann sollten an dem Tag die Glocken schweigen.
So viel Pietät muss sein.

Obwohl dieses Beispiel nur eine Hexe war:
Ausschnitt aus dem Protokoll einer Tortur

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Kommentare

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Hl. BimBam am :

Ich setz' das mal hier rein, da in dem Thread unter dem anderen Beitrag auf einmal durch für mich undurchschaubare Moderationskriterien eine Veröffentlichung verhindert wird.
#Aufschrei ähem #Empörung

[bezieht sich auf verkehrte Kapitalismuskritik der Marke "der böse Finanzkapitalismus" (also auf die Zirkulationssphäre beschränkt)]

Das kann man sich von der Nadja Rakowitz demnächst auch ausführlicher erklären lassen:

Mittwoch, 24.04.2013, 20 Uhr
Vortrag: Die Kritik am Zins – Eine Sackgasse der Kapitalismuskritik
(im Karoshi, Gießbergstraße 41-47, Link siehe unten)
http://karoshi-kassel.de/?p=2369

Anonym am :

Das Problem des von Ihnen kritisierten Betrages ist neben dem Umstand, dass die schlichte Empörung nicht - wie Sie m.E. richtig feststellen - zwingend auf die Handlungsebene führt, ein weiteres:
Wo Hessel in seiner kleinen Schrift Bezug zu seiner Biografie und seinen Erfahrungen nimmt und aus diesen seinen Aufruf ableitet, kommt "Frohe Ostern! Und empört Euch!" mit einer soliden Portion unangemessener Trotzigkeit daher, die ich nicht in einem solchen Aufruf lesen möchte, will mich die Autorin wirklich für ihr Anliegen begeistern.

Martin Reuter am :

Herrliches Äußerungsspektakel! Die Bedingungen, mit der man eine Autorin dazu zwingen möchte, nach seinen eigenen Bedingungen zu funktionieren ("so kann man mich nicht begeistern"), sind gottseidank noch nicht (bzw. eher unter Diktaturen) erfunden worden. Es gibt doch inzwischen so viele Begeisterungs- und Begeistertheits-Möglichkeiten!

Th G am :

Nein die Autorin sollte nicht gezwungen werden, den Text zu ändern oder ähnlich. Den Text von ihr kann ich voll unterschreiben, die Kritik betraf nur die zum Erbrechen oft gelesene Hessel-Phrase.
Der Widerstand hat viele Möglichkeiten, eine davon ist Empörung zu schaffen. Effektiverweise aber nicht in den eigenen Reihen, sondern auf der Gegenseite. Internetmedien machen es möglich. Aber irgendjemand ist immer beleidigt.

Martin Reuter am :

Ich sehe hier keine Beleidigung, sondern die Unterteilung in Freund und Feind (Fürseite/Gegenseite), die Carl Schmitt ("Ernstfall", "Souveränität") argumentativ nützlich war, aber in den Verwicklungszeiten nicht mehr nützlich ist. (Wenn man die alten Zeiten schonmal zur Kenntnis genommen hat. Der Ernstfall ist nämlich zum Dauerfall geworden. Oder Walter Benjamin eigentümlich darstellend: Dass es immer so weitergeht, ist die Katastrophe, nicht der erwünschte Einschnitt. Die gutgemeinten Appelle von THG sind leider Teile desselben Spiels. Das ist mE bitter, aber mE wahr.)

Anonym am :

Selbstverständlich sollte bei kassel-zeitung niemand ins textuelle Umerziehungslager müssen. Anonymus stellte hier eher seine subjektive Wahrnehmung zur Schau.

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