Schmerzen, Probleme und belastende Gefühle beim Pilsverzehr
Neulich, ich komme vom grünen Neujahrsempfang bei dem sie uns, während wir "Älteren" noch sitzen und uns angeregt unterhalten, die Stühle hochstellen und die Tische wegräumen. Die Jüngeren. Die wollen entweder nach Hause oder auf die Piste. Wobei die Abräumer eher nach Sofa denn nach Friday Night Fever aussehen. Meine Gesprächspartnerin muss zurück ins heimische Nest, Kinder zählen und für mich steht "Schlaflos in Wehlheiden" auf dem Programm.
Mein Heimweg führt mich durch den Vorderen Westen. Und da das selbstgemachte und mitgebrachte Grünen-Buffet zwar immer sehr vielfältig und lecker, dafür aber auch schnell leergeräumt ist, kehre ich auf der Hälfte der Strecke beim Dönerhändler meines Vertrauens ein, …
Mein Heimweg führt mich durch den Vorderen Westen. Und da das selbstgemachte und mitgebrachte Grünen-Buffet zwar immer sehr vielfältig und lecker, dafür aber auch schnell leergeräumt ist, kehre ich auf der Hälfte der Strecke beim Dönerhändler meines Vertrauens ein, …
… damit ich später nicht wachliegen muss, weil die Gedärme knurren.
Ich bestelle mir ein kühles Blondes und, um die Dönerproduktionszeit zu überbrücken, ziehe ich mir aus dem Umsonstzeitungsständer eine kleine Publikation. Das Titelthema ist "Liebe". Das passt für die Unterversorgten dieser Welt natürlich ganz prima. Drinnen im Heft entfaltet sich mir ein bis dato vollkommen unbekanntes Paralleluniversum an Selbsterkenntnismöglichkeiten inklusive konkreter Angebote meiner transzendentalen Obdachlosigkeit Herr zu werden und meine Alltagsbewältigungskompetenzen im krisengebeutelten Spätkapitalismus massiv zu stimulieren. "Neun Schritte zur Selbsterforschung bei Paarkonflikten" ist der Titel eines Roadmovies, das mir für den Trip in mein Innerstes dargeboten wird. Ein weiteres will mir die "Aussöhnung mit unserer verborgenen Seite" vermitteln. "Diese verborgenen Seiten liebevoll anzunehmen, ist ein Schlüssel zum Ganzwerden", lese ich. Als wenn es nicht auch schon mit den mir bekannten schlimm genug wäre…
In der Abteilung "Cranio-sacrale-Therapie", wird mir folgendes Heilsversprechen zu Teil: "Gerne helfe ich Ihnen dabei, ihre Schmerzen, ihre Probleme und all die belastenden Gefühle los zu lassen. GANZ zu werden ist einfacher, als sie glauben." Na dann.
Es geht allerdings auch etwas niedrigschwelliger. Einen "Hot Stone oder einen Lomi Spa-Kurs" könnte ich belegen. In meiner pervertierten Denke phantasiere ich exotische Sexualpartiken mit wilden Amazonen, werde aber zügig eines besseren belehrt: Heiße Basaltsteine oder hawaiianische Massageformen werden hier angepriesen.
Wenn mich das nicht stimuliert, kann ich mich auf der gleichen Seite der Trainingsgruppe für "Integratives Releasing" anschließen, denn "diese Gruppe kann das eigene Leben verändern und für die Begleitung anderer Menschen in ihren Heilungs- und Wachstumsprozessen qualifizieren."
In welch finsterem Tal leben wir eigentlich, wenn der lebensweltliche Dramafaktor auf Seite zwölf schon solche Dimensionen annimmt?
Tut sich schon bis jetzt ein Gender Gap ungeahnten Ausmaßes auf, dürfen natürlich explizite Angebote für Mutti nicht fehlen. "In unserer heutigen Zeit brauchen wir Inseln zum Auftanken - Heilungsinseln, die uns bewusst machen, dass unsere wahre Kraftquelle in uns selbst liegt. (…) Im Kreis der Frauen zu sein, wird oft als heilsam erlebt, weil wir das Gefühl bekommen, nicht alleine zu sein, sondern uns in allem verbinden können."
Allein auf die Insel ist also für die Mädels auch kein Plan. Dann schon eher ein gepflegter "Schoßraumprozess" im "Tempel der Weiblichkeit". Womit definitiv etwas anderes als das Horizontalgewerbe gemeint sein dürfte...
Und natürlich sind auch die feinstofflichen Ebenen nicht zu vernachlässigen, will mensch in seinem ganzen Drama wieder in die Reihe kommen. Wenn es das nicht raushaut, könnte eine kostenfreie systemische Kurzintervention hilfreich sein.
Zwei Seiten weiter werden meine phonetischen Sprachsimulationstechniken einer ganz argen Prüfung unterzogen. Wo ich bei den Grünen schon Bier trank und im Cha Cha auf dem Weg zur Dönerbude noch ein kostenpflichtiger Download bereit gestellt wurde, nicht das einfachste Unterfangen, denn hier werden mir von einem Menschen, der sich als Medium geriert, Botschaften aus der "Erzengelebene" versprochen. "Erzen-Gel-Ebene" wundere ich mich. Gibt's das aus der Tube? Also doch eher "Erzen-Gelebene", so eine Kombi von Erzen und Leben in der Partizipform, kommen die Erze doch von Mutter Erde und das Gelebene ist das diesseitige Drama für Legastheniker, das mit diesen Mineralien in den Griff zu bekommen ist. Hätte zumindest eine gewisse innere Logik.
Ich führe beim Lesen noch einen Schluck Pils zu und plötzlich hab' ich es: "Erz-Engel-Ebene" will mir das Medium, Haushaltsvorstand der "Kristallfamilie", mitteilen. "Es kommt die Energie aus der Erzengelebene, die mit der Gruppenenerige der anwesenden Menschen in Resonanz ist", lese ich.
Ich glaub' ich guck' nachher bei youporn noch was aus 'ner anderen Gruppenebene.
Um das Programm abzurunden werden natürlich noch Infos und Aufforderungen zu Familienaufstellungen, integraler Persönlichkeitsentwicklung, Klangtherapie; REIKI, energetischer Partnerberatung, Engelsitzungen, Psycho-Kinsiologie, dem "Quanten-Bewusstsein", der Irisdiagnose, Shiatsu oder der "tanzenden Bewegung mit dehnendem Yoga, kombiniert mit tiefer Entspannung im Alphawellenzustand, was zum wahren Sein führt" gereicht.
Fazit: Ein Leben reicht definitiv nicht, um so viele Probleme zu haben, sie mit diesen Angeboten lösen zu wollen. Ich nehm' noch ein Pils. Prost!
Ich bestelle mir ein kühles Blondes und, um die Dönerproduktionszeit zu überbrücken, ziehe ich mir aus dem Umsonstzeitungsständer eine kleine Publikation. Das Titelthema ist "Liebe". Das passt für die Unterversorgten dieser Welt natürlich ganz prima. Drinnen im Heft entfaltet sich mir ein bis dato vollkommen unbekanntes Paralleluniversum an Selbsterkenntnismöglichkeiten inklusive konkreter Angebote meiner transzendentalen Obdachlosigkeit Herr zu werden und meine Alltagsbewältigungskompetenzen im krisengebeutelten Spätkapitalismus massiv zu stimulieren. "Neun Schritte zur Selbsterforschung bei Paarkonflikten" ist der Titel eines Roadmovies, das mir für den Trip in mein Innerstes dargeboten wird. Ein weiteres will mir die "Aussöhnung mit unserer verborgenen Seite" vermitteln. "Diese verborgenen Seiten liebevoll anzunehmen, ist ein Schlüssel zum Ganzwerden", lese ich. Als wenn es nicht auch schon mit den mir bekannten schlimm genug wäre…
In der Abteilung "Cranio-sacrale-Therapie", wird mir folgendes Heilsversprechen zu Teil: "Gerne helfe ich Ihnen dabei, ihre Schmerzen, ihre Probleme und all die belastenden Gefühle los zu lassen. GANZ zu werden ist einfacher, als sie glauben." Na dann.
Es geht allerdings auch etwas niedrigschwelliger. Einen "Hot Stone oder einen Lomi Spa-Kurs" könnte ich belegen. In meiner pervertierten Denke phantasiere ich exotische Sexualpartiken mit wilden Amazonen, werde aber zügig eines besseren belehrt: Heiße Basaltsteine oder hawaiianische Massageformen werden hier angepriesen.
Wenn mich das nicht stimuliert, kann ich mich auf der gleichen Seite der Trainingsgruppe für "Integratives Releasing" anschließen, denn "diese Gruppe kann das eigene Leben verändern und für die Begleitung anderer Menschen in ihren Heilungs- und Wachstumsprozessen qualifizieren."
In welch finsterem Tal leben wir eigentlich, wenn der lebensweltliche Dramafaktor auf Seite zwölf schon solche Dimensionen annimmt?
Tut sich schon bis jetzt ein Gender Gap ungeahnten Ausmaßes auf, dürfen natürlich explizite Angebote für Mutti nicht fehlen. "In unserer heutigen Zeit brauchen wir Inseln zum Auftanken - Heilungsinseln, die uns bewusst machen, dass unsere wahre Kraftquelle in uns selbst liegt. (…) Im Kreis der Frauen zu sein, wird oft als heilsam erlebt, weil wir das Gefühl bekommen, nicht alleine zu sein, sondern uns in allem verbinden können."
Allein auf die Insel ist also für die Mädels auch kein Plan. Dann schon eher ein gepflegter "Schoßraumprozess" im "Tempel der Weiblichkeit". Womit definitiv etwas anderes als das Horizontalgewerbe gemeint sein dürfte...
Und natürlich sind auch die feinstofflichen Ebenen nicht zu vernachlässigen, will mensch in seinem ganzen Drama wieder in die Reihe kommen. Wenn es das nicht raushaut, könnte eine kostenfreie systemische Kurzintervention hilfreich sein.
Zwei Seiten weiter werden meine phonetischen Sprachsimulationstechniken einer ganz argen Prüfung unterzogen. Wo ich bei den Grünen schon Bier trank und im Cha Cha auf dem Weg zur Dönerbude noch ein kostenpflichtiger Download bereit gestellt wurde, nicht das einfachste Unterfangen, denn hier werden mir von einem Menschen, der sich als Medium geriert, Botschaften aus der "Erzengelebene" versprochen. "Erzen-Gel-Ebene" wundere ich mich. Gibt's das aus der Tube? Also doch eher "Erzen-Gelebene", so eine Kombi von Erzen und Leben in der Partizipform, kommen die Erze doch von Mutter Erde und das Gelebene ist das diesseitige Drama für Legastheniker, das mit diesen Mineralien in den Griff zu bekommen ist. Hätte zumindest eine gewisse innere Logik.
Ich führe beim Lesen noch einen Schluck Pils zu und plötzlich hab' ich es: "Erz-Engel-Ebene" will mir das Medium, Haushaltsvorstand der "Kristallfamilie", mitteilen. "Es kommt die Energie aus der Erzengelebene, die mit der Gruppenenerige der anwesenden Menschen in Resonanz ist", lese ich.
Ich glaub' ich guck' nachher bei youporn noch was aus 'ner anderen Gruppenebene.
Um das Programm abzurunden werden natürlich noch Infos und Aufforderungen zu Familienaufstellungen, integraler Persönlichkeitsentwicklung, Klangtherapie; REIKI, energetischer Partnerberatung, Engelsitzungen, Psycho-Kinsiologie, dem "Quanten-Bewusstsein", der Irisdiagnose, Shiatsu oder der "tanzenden Bewegung mit dehnendem Yoga, kombiniert mit tiefer Entspannung im Alphawellenzustand, was zum wahren Sein führt" gereicht.
Fazit: Ein Leben reicht definitiv nicht, um so viele Probleme zu haben, sie mit diesen Angeboten lösen zu wollen. Ich nehm' noch ein Pils. Prost!
Kommentare
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Wolfgang Ehle am :
Dr. Rudolf S. am :
Einer Gesellschaft, in der die Lebenserwartung alle drei Jahre um ein Jahr steigt, und die ihren Mitgliedern so die Möglichkeit gibt, auch noch im hohen Alter die unfähige Schulmedizin zu verfluchen, und sich mit Ohrenkerzen, Uringetränken und frutarischer Ernährung, wirkstofflosen Milchzuckerkügelchen und Heilsteinen in voraufklärerische Umnachtung zu träumen.
Nehmen Sie es diesen Sinnsuchern nicht übel - der mental bequemere Weg, die farbigere Erklärung und das raunend mitgeteilte Geheimnis sind für schlichte Geister allemal reizvoller als die trockene wissenschaftliche Essenz.
MR am :