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DGB und Linke in Kassel wollen hessische "Schuldenbremse" ausbremsen

Am Tag der Kommunalwahlen, am 27. März, werden die hessischen Wähler mittels Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung entscheiden können. Nachdem die CDU-geführte Landesregierung binnen 10 Jahren den Schuldenstand des Landes von 22,5 Mrd. Euro auf 37 Mrd. Euro hat steigen lassen, will sie jetzt bundesgesetzlichen Vorgaben folgend per Verfassungsgebot eine weitere Neuverschuldung untersagen, - ab 2020.
Doch der DGB, die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die Linke laufen Sturm gegen die Wiesbadener Pläne. Sie sehen die finanzpolitische Manövrierfähigkeit des Landes bedroht, befürchten weitere Sozialkürzungen und nicht zuletzt Einschnitte für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die inzwischen zu den treuesten Gewerkschaftsmitgliedern zählen. In Kassel wollen DGB, Ver.di und befreundete Organisationen an Infoständen in der Innenstadt für ein "Nein" bei der Volksabstimmung werben.
Doch könnte es nicht sein, dass angesichts der erreichten öffentlichen Hyperverschuldung und der weiterhin bestehenden grossen Ungleichgewichte und Unsicherheiten in Realwirtschaft wie Finanzmarkt die Diskussion über "Schuldenbremsen" ein absurdes politische Scheingefecht darstellt?
Das Grundgesetz kannte seit langem eine Schuldenbegrenzung. Schon vor der 2009 dort verankerten"Schuldenbremse" der Berliner Grossen Koalition, stellte der Artikel 115 GG klar, dass die öffentliche Neuverschuldung den Anteil der Investitionen im Haushalt nicht überschreiten darf. Als es 2008 darum ging, den Banken und ihren einflussreichen Gläubigern die Verluste aus Spekulationsgeschäften in dreistelliger Milliardenhöhe mit Steuermitteln zu ersetzen (s. meinen Artikel vom 21.9.2010), hat sich niemand am Art. 115 gestört.

Kaum jemand stört sich auch daran, dass das Land Hessen oder auch der Landkreis Kassel ihre Schulden hinter sog. Private-Public-Partnership-Projekten verstecken. Öffentliche Projekte werden nicht mit neuen Krediten sondern mit langfristigen Mietverpflichtungen gegenüber Finanzmarkt-Investoren finanziert. Das ist für den Steuerzahler sehr viel teurer als die Kreditfinanzierung, bietet aber für Angehörige der politischen Klasse die Gelegenheit, als Geschäftsführer oder Berater diverser Projektträger mal wie ein Manager entlohnt zu werden.

Auf EU-Ebene ist Deutschland im Maastricht-Vertrag sogar die sanktionsbewehrte Verpflichtung eingegangen, die öffentlichen Neuverschuldung nicht über 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die öffentliche Gesamtverschuldung nicht über 60 % des BIP steigen zu lassen. Doch wie ca. zwei Drittel aller EU-Länder hält Deutschland diese Verpflichtung nicht ein, Sanktionen gibt es keine, die sog. Maastricht-Kriterien sind nach der Finanzmarktkrise für die hiesigen Mainstream-Medien zum Tabu geworden.

Die haben dafür die Frau Bundeskanzlerin erst jüngst wieder für ihre "harte Haltung" bei der Ablehnung einer gemeinsamen Anleihe der Euro-Länder und der Ausweitung des zunächst auf bescheidene 750 Mrd. Euro limitierten EU-Rettungspakets gelobt. Spielte es da noch eine Rolle, dass die Europäische Zentralbank (EZB) längst begonnen hatte, eine eigene Euro-Anleihen zu kreieren, indem sie massenhaft Staatsanleihen von Staaten aufkauft, denen der Finanzmarkt die Refinanzierung ihrer Schulden nur noch mit sehr hohen Zinsaufschlägen gestatten wollte? Diese in den USA entwickelte Methode ist mittlerweile zum finanzpolitischen Perpetuum mobile geworden. Die USA und die Euro-Staaten geben sich also selbst Kredit.

Doch was hat eigentlich Staat und Gesellschaften der kapitalistischen Kernstaaten in diese absurde Situation gebracht? Seit Ende der 70er Jahre sind die Akkumulationsspielräume der produzierende Unternehmen immer kleiner geworden. In der Nachkriegs-Boomphase waren grosse Produktionskapazitäten aufgebaut worden, doch die Aufnahmefähigkeit der eigenen Märkte erlahmte. Ein Versuch das Problem zu lösen, war die Globalisierung. Sie hat die De-Industrialisierung vieler Länder vorangetrieben und schuf in der globalen Peripherie zwar vorübergehend neue Akkumulationspotentiale, andererseits aber auch neue Player, die heute mit ihren Milliarden auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten den Globus durchwandern.

Da das Investment in neue Fabriken nicht mehr lohnend erschien, wurde es mehr und mehr auch autonome Aufgabe des Finanzkapitals, aus Geld mehr Geld zu machen. Die Banken vergaben zunehmend Risiko-Kredite und kreierten immer neue Finanzmarkt-Produkte, mit deren Hilfe nun, ohne Berührung mit der Realwirtschaft, eine wundersame Geldvermehrung einsetzte. Das aber verstärkte eigentlich nur die Not der Geldbesitzer. Sie riefen nach dem Staat. Der sollte sich zumindest einen Teil des überschüssigen Finanzkapitals ausleihen, damit z. B. völlig überflüssige Finanzzentren, Regionalflughäfen oder Fussball-Stadien bauen, Abwrackprämien gewähren, Rationalisierungs-Investitionen subventionien.

Und auch viele Linke und Gewerkschafter stimmten in Verkennung des Charakters der Krise in den Kanon ein. Der Staat solle eine "antizyklische Finanzpolitik" betreiben und "die Konjunktur beleben". Doch tatsächlich waren die Staaten nicht nur von Anfang an mit der Absorbierung des überschüssigen Finanzkapitals überfordert, ihre Schuldenpolitik verstärkte den Finanzkapitalüberhang. Statt "die Konjunktur zu beleben" gerieten Staaten selbst an den Rand des Exodus. Über "Schuldenbremsen" und gesteuerte Inflation versuchen sie sich nun, wohl vergeblich, an einer Entschuldung.

Das Finanzkapital aber muss bei seiner hektischen Suche nach Profit wieder andere Wege beschreiten. Neue Spekulationsblasen sind unvermeidlich. Aktuell deuten sie sich in den Bereichen an, wo es Gewerkschaftern und linken Politikern eigentlich die heftigsten Sorgen bereiten sollte, - bei agrarischen Rohstoffen. Und wenn die Blasen platzen wird wieder der Ruf nach staatlichen Rettungsprogrammen erklingen. Von "Schuldenbremsen" wird dann niemand mehr etwas wissen wollen.



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