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Terroralarm beim Eisdealer

Dienstag, früher Abend, das Tagwerk ist vollbracht. Ich kehre beim Eisdealer meines Vertrauens ein, um mir in der Bruthitze - in aller Ruhe und schön im Schatten - einen fetten Walnussbecher zu gönnen. Alles sieht gut aus, die schattigen Plätze sind gar nicht so krass belegt wie immer. Es sollte die berühmte Ruhe vor dem Sturm werden…
Aus der Tiefe des Raums tritt mit ihren GS-geprüften, dreirädrigen Kampfwagen eine Armada, bestehend aus drei Frauen, Modell Spätgebärende, auf den Plan,...
... vor deren massiver Intervention weder Eisdealer noch Gäste gefeit sind.
Anstatt ihre Kampfgeräte, in denen sie ihre überbehütete Brut rumkarren - und mit der sie vermutlich in einem trendig-urbanen Viertel mit hoher Altbau- und niedriger Migrantendichte ihren Bionade-Lifestyle in der Frauenfalle inklusive traditioneller Rollenverteilung pflegen, weil Vati dann doch den besseren Job hat und in denen ihre lieben Kleinen irgendwann möglicherweise der Wohlstandsverwahrlosung anheim fallen, wenn Mutti wieder schaffen gehen sollte - irgendwo dezent an der Seite des Freisitzes abzustellen, die lieben Kleinen dann daraus zu befreien und zu sich auf den Schoß zu nehmen, wie es Generationen von Müttern vor ihnen machten, mischen sie mit ihren Geschossen den kompletten Freisitz auf.
Kein Weg geht daran vorbei, die schweren Gerätschaften um den kleinen Tisch, Durchmesser ca. 60 Zentimeter, herum zu gruppieren. Damit jede der Muttis dann ordnungsgemäß neben ihrer Brut sitzen kann, wird die soziokulturelle Demarkationslinie auf die Schnelle neu vermessen.
Mit dem festen Blick der Kulturkampfanmutung werden jene Gäste taxiert, deren Stühle Mutti beim vorbeischieben touchiert, während sie sich mit ihrem Kampfpanzer gnadenlos eine Schneise durch die Stuhlreihen bahnt.
Es ist der triumphierende Blick der bildungsnahen wie transzendental obdachlosen Sinnsucherinnen aus der bürgerlichen Mitte, die es hier der kommenden Elite nett machen. Da soll nur einer kommen.
Selbstverständlich machen die Gäste gerne Platz, schließlich werden um diesen viel zu kleinen Tisch nun unsere späteren Leistungsträger drapiert.
Da muss Mann schon mal auf ein Eis in Ruhe verzichten können!

Es dauert nicht lange bis der erste Furz quer sitzt und das Geplärre in der, mir nichts, dir nichts, zum pädagogischen Krisengebiet mutierten Eisdiele losgeht. Widerlich!
Während die Savoir-vivre-Muttis ihren gepflegten Latte Macciato bestellen, wird die Brut zärtlich aus dem mühsam dort hinbugsierten Kinderwagen entnommen und als Objekt sozialarbeiterischer Fürsorge ordnungsgemäß getröstet. Warum Frau ihre Gerätschaften ohne Rücksicht auf Verluste dafür erst dahin drapieren musste, kann nur der real existierenden Irrationalität geschuldet sein.
Auch der Eisdealer hat sein tun mit der Armada. Abgeschnitten von seinen traditionellen Fußwegeverbindungen, die per Sitzblockade kurzerhand dicht gemacht wurden, ziehe ich meinen Tisch zur Seite, damit er die anderen Gäste hinter mir überhaupt noch bedienen kann, ohne ganz außen über den Bürgersteig gehen zu müssen.

Übergeordneten Mächten oder im Zweifelsfall auch einer vollgeschissenen Windel sei Dank ist die Performance der Latte Macciato-Muttis nur von kurzer Dauer. Immerhin. Aber sie müssen ihre Kampfwagen nun wieder aus dem Freisitz heraus bewegen. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.
Aber danach ist wieder Ruhe. Himmlisch.






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Kommentare

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MR am :

Entsprechend bayerischem Raucherverbot entnehme ich diesem Beitrag mehrere Möglichkeiten für abgestufte politische Anträge und Volksabstimmungen: a) Grundsätzliches Ausgangsverbot für Mütter mit Kind u. Wagen; b) Aufenhalts-Verbot von mehr als einer Mutter (plus Kind u. Wagen) in Eisdielen und sonstigen Bewirtungseinrichtungen; c) Einrichtung von speziellen Eisdielen nur für Mütter mit Kind u. Wagen, dann unbeschränkte Anzahl, aber mit Spezialmöbel-Einrichtung zur Pfadsicherung für Kellner als Unfall-Vermeidungs-Maßnahme.

ohrenmensch am :

100% Zustimmung! Ich sehne mich nach Rauchercafes und -eisdielen zurück, weil nur diesen die linksalternativgrüngesunden Mütterstuten fernblieben. Heute hat man zu normalen Kinder-wachzeiten (also bis ca 22:00) Gelegenheit, der Nicht-Pädagogik der Egomaninnen beizuwohnen, denen ein paar Stunden hohles Gebrabbel im Cafe wichtiger ist als das Wohl ihrer Kinder, die Beschäftigungslos das Cafe vollschreien, und als das Wohl der übrigen Gäste.

MR am :

Kinder - beschäftigungslos: Das scheint mir nahe an dem großen Traum des "leistungslosen Einkommens", der sowohl unter Finanzspekulanten als auch ganz unten gerne genommen wird. Und dem Neid. - Bei umgekehrtem Ohrenkastrationskomplex oder gar Zwangsneurose würde ich übrigens das Aufsuchen "linksalternativgrüngesunder" Begegnungsstätten meiden. Aber dann gäbs natürlich keine verbale Aufregung! (Irgendwie erinnert mich das an 1868!)

Gertrud Salm am :

Ja, wenn die eigenen Rotznasen etwas größer sind und aus dem Gröbsten raus, werden die, die früher den Anderen auf den Wecker gegangen sind mit ihren Latzhosen und den blärrenden Gören, plötzlich zu den ruhesuchenden Saubermännern, die man früher so gehasst hat. Das ist der Lauf der Zeit. Aber beruhigen Sie sich, Herr Herwig, die Enkel kommen...

Max am :

Ich finde den Artikel super. "Kampfwagen" ist der richtige Ausdruck. Verhält sich ähnlich wie Großmutter im Discounter mit einem Einkaufswagen, wer im Weg steht dem wird einfach kräftig in die Achillessehne gestoßen.
An alle Mütter und Großmütter: Ich hab Euch trotzdem lieb, ohne Euch gäbe es mich schließlich nicht.

Sabine Scheffer am :

Leute, also so was..........
Ich wohne glücklich im Berliner Prenzlauer Berg. Hier gibt es mehr Kinder als Hunde und keiner gibt den genervten, überdrüssigen, von Kinderlärm gebeutelten, Ach-So-Belasteten. Meine Güte !!!
Mein Vorteil: Ich habe zwei Jahre im Kindergarten und Jugendzentrum gearbeitet und HÖRE Kinder einfach nicht.
Wenn mir niemand mit einem Bobbycar laut schreiend an die Waden rummst oder mich mit einem winzigen Kinderfahrrad in Kniehöhe attackiert ist hier alles super.

Meine Güte, die Leute in Kassel.....
Ach Gott, Ach Gott........
Ich komme NIE wieder zurück. Hier ist das Leben viel angenehmer, lockere, entspannter und ALLE Menschen sind NETT. Was will man mehr........

SchreiberHerwig am :

Es geht hier weniger um die lieben kleinen, eher um die Macchiato-Muttis und ihre wenig sensible Art, sich breit zu machen. Mir ist schon klar, dass zwar alle Tage gleich lang, aber eben nicht gleich breit sind...

Klaus Schaake am :

Anbei ein Link zu Ihrem netten Prenzelberg-Ambiente:
"Die verlassenen Macchiato-Mütter"
http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/die-verlassenen-macchiato-muetter/ und einer Erwiederung in der selben Zeitung unter dem Titel: "Selbstmitleid im Szene-Café"
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/selbstmitleid-im-szenecafe/

Martin Reuter am :

"Die Stadt macht Lärm, aber der Lärm macht die Stadt..."

MR am :

Es heult der Sturm
Es wird geschrieben
Es tun sich schon
die Monokel verschieben...

MR am :

Zum Glücklichsein am Prenzlauer Berg, das wir sehr unterstützen, hier noch ein prima Link:
http://www.zeit.de/2007/46/D18-PrenzlauerBerg-46

Klaus Schaake am :

Auch sehr schön!

Marbachshöhe über alles! am :

“Boulder had turned into a new age yuppie hellhole long before either of those terms were used in the mainstream,” Biafra says. “There were an awful lot of people who thought they were really rebellious and free-spirited, searching for gurus to tell them what to do. This scared me.”

MR am :

danke für den dead kennedys-ink. Ich war kurz vor der dekryptisierung oder dem insideoutturning. Schade dass sich immer Leute exkremental sekundärverwertend betätigen. Es gibt auch "notwendige Fehler" (KLaus Heinrich), und das ewige Heer von Fliegen auf der Milch (Kafka), das sich darauf stürzt. Wie wärs mit "Lernprozessen mit fröhlichem Ausgang"?

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