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Eine bräsige SPD - Eine Weigerung, die tief blicken lässt

Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK)*, von dessen Wirken fast niemand Kenntnis nimmt und der dennoch eine bedeutende Organisation ist mit durchaus wichtigen, entwicklungsplanerischen Aufgaben in Kassel und seinem „Speckgürtel“: Dieser Verband regelt und bearbeitet im Wesentlichen die Flächennutzungsplanung nach dem Baugesetzbuch, nach § 5 ff. Er bestimmt also darüber, wie und wofür hier in Kassel und den direkt angrenzenden Umlandgemeinden Flächen genutzt werden: Für Wohnen, Gewerbe, Verkehr etc. Dass solche Entscheidungen für die Ökonomie und die Ökologie einer Region von großer Bedeutung sind, muss nicht näher erläutert werden.

In der letzten Verbandsversammlung des ZRK des Jahres 2018, am 5. Dezember 2018, gab es einen Konflikt darum - eigentlich eine Bagatelle bzw. parlamentarische Selbstverständlichkeit – ob der Ausschussvorsitzende, in diesem Fall ist das der Kollege Zeidler von der SPD gewesen, einen kurzen Bericht über die vorbereitende Sitzung des Planungsausschusses, die eine Woche zuvor stattgefunden hatte, in der Verbandsversammlung vorträgt. So ein Vortrag bzw. so eine kurze Zusammenfassung stärkt die Bedeutung der Ausschüsse und es müssen dann in der Verbandsversammlung auch nicht mehr alle Debatten und Argumente wiederholt werden. Genau dafür hat man solche Ausschüsse. Aber für die über Jahrzehnte in diesem Gremium den Ton angebende SPD war das auf einmal wohl nicht mehr selbstverständlich. Herr Zeidler hatte seine Unterlagen gar nicht dabei, seine Erinnerungen anscheinend aber auch nicht und so wollte er der guten Praxis plötzlich nicht mehr folgen. Er ließ sich dann lediglich von einem ZRK-Mitarbeiter die Liste mit den Tagesordnungspunkten und die dazugehörigen Abstimmungsergebnisse geben. Die hat er dann kommentarlos verlesen.

Die sich durch ganze Sitzung ziehende ätzende Kritik von allen anderen Fraktionen an diesem Verhalten ließ die SPD natürlich nicht gelten. Die SPD-Fraktionskollegen von Volker Zeidler ließen die Kritik an ihrem Ausschussvorsitzenden an sich abperlen und waren nicht bereit, die gute parlamentarische Praxis gelten zu lassen. Sie wiesen jede, auch gutgemeinte Kritik zurück. U.a. mit dem völlig blödsinnigen und spekulativen Hinweis, dass man es mit einem Bericht ja nicht jedem recht machen könne. Das alles hat für Gelächter und – ohne dass es die Absicht der SPD-Fraktion gewesen wäre – darüber hinaus für eine recht entspannte Atmosphäre in der letzten Verbandsversammlung des Jahres 2018 gesorgt. Den Schaden hatte die SPD-Fraktion zu tragen, weil fast alle Redner im weiteren Verlauf der Sitzung bei jedem Tagesordnungspunkt mehr oder weniger direkt und/oder ironisch auf die Verweigerungshaltung des SPD-Ausschussvorsitzenden Bezug genommen haben. Soviel ist noch nie gelacht worden in einer solchen Versammlung…

Völlig unabhängig von den eben geschilderten Vorgängen minderer Bedeutung war die letzte Sitzung der Verbandsversammlung des ZRK vermutlich eine der besten Sitzungen seit vielen Jahren. Zum ersten Mal ist es gelungen, auf recht hohem Niveau über die Bedeutung des Verbandes und seiner Gremien zu sprechen. Hauptauslöser war der Antrag der Stadt Vellmar, den Flächennutzungsplan des ZRK in ihrem Geltungsbereich dahingehend zu ändern, dass eine nördlich von Vellmar gelegene landwirtschaftliche Fläche von ca. 15 ha Größe in Bauland verwandelt werden soll: Und das, obwohl entsprechende Flächen in einer vergleichbaren Größenordnung innerstädtisch sehr wohl zur Verfügung stehen. Die sich vor allem an diesem unnötigen Verbrauch wertvoller Flächen entzündende Kritik von Grünen und dem Unterzeichner - zum ersten Mal haben sich daran auch Mitglieder von CDU und FDP beteiligt, die sonst eher nicht zu denen gehören, die aufs Flächensparen drängen – hat zu einer Auseinandersetzung geführt, die Maßstäbe für die Zukunft gesetzt hat! Da es in dieser Sitzung lediglich um die Offenlage der von Vellmar gewünschten Planänderungen ging, wird über diese Angelegenheit noch öfter zu beraten sein und der Autor dieser Zeilen wird darüber bestimmt erneut berichten und schreiben.

Um auf das kleine Ereignis vom Beginn der Sitzung zurückzukommen: Natürlich ist die Sache eigentlich so unbedeutend wie der berühmte Sack Reis in China, dessen Umfallen oder Nicht-Umfallen schlicht wurscht ist. Dennoch ist die kleine Story aus der Verbandsversammlung des ZRK bedeutsam und lässt tief blicken, weil sich dahinter etwas Grundsätzlicheres verbirgt. Die sozialdemokratische Partei Deutschlands, eine seit Jahrzehnten in Nordhessen mehr oder weniger unangefochten, um nicht zu sagen quasi feudal regierende, fest im Sattel sitzende Partei, die die mit dieser Position verbundene „Macht“ jeden immer wieder direkt oder subtil spüren lässt, befindet sich – auch wenn es die Herrschaften hier in Nordhessen (noch) nicht wahrhaben wollen – bundesweit im ungebremsten Sinkflug. Sie nehmen hier diesen Abwärtstrend wohl deshalb nicht richtig zur Kenntnis, weil Sie immer noch glauben, dass es in Nordhessen letztlich so bleibt, wie es lange war. Vermutlich aber irren sich die Damen und Herren von der SPD. Die Partei, in der sie sind und in der sie über Jahrzehnte so überaus bräsig geworden sind, verflüchtigt sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Auch die anderen sozialdemokratischen Parteien Europas erodieren, verlieren Stimmen und schrumpfen: In Paris hat die ehrwürdige Sozialistische Partei Mitte 2017 ihr schickes, historisch bedeutendes Parteigebäude verkaufen müssen. Es war kein Geld mehr da für ein im Unterhalt so teures Haus. Und von Macht, Einfluss, vielen Wählerstimmen und Parlamentssitzen hat sich diese einst ruhmreiche Partei mit so vielen Verdiensten schon lange verabschieden müssen. Alles längst Geschichte! Und dieser Niedergang ist, von Portugal vielleicht mal abgesehen, überall derselbe, mit jeweils nur landestypischen Ausprägungen. Und hier in der BRD ist die SPD, die sich in Berlin in einer ungeliebten, alles andere als erfolgreichen Koalition herumquält und noch die schlimmsten Kompromisse billigt und mitmacht (erst jüngst die Sache mit dem § 2919a, das Dauerdrama um die Dieseltragödie etc.), auf dem absteigenden Ast. Wenn der Artikel hier fertig geschrieben ist, wird die alte Dame bestimmt schon wieder einen Prozent weniger an prognostizierten Wählerstimmen haben. Die Landtagswahlen im Osten werden ihr vermutlich den Rest geben… Wer aber denkt, dass das ein Grund zur Freude wäre, der irrt. Aber das ist ein anderes Thema…

Trotz dieser Tendenzen tut aber die SPD hier in Nordhessen immer noch so, als könne sie sich alles leisten und erlauben. Und genau damit hat das Verhalten des SPD-Ausschussvorsitzenden zu tun: Die Sitzungen des ZRK sind öffentlich, aber es gibt keinen, der die Öffentlichkeit herstellt. Die HNA, wenn sie überhaupt über Zweckverbandsthemen berichtet, hat entweder keine Ahnung oder macht in Hofberichterstattung. Und so bekommt kaum jemand mit, was sich in diesem wichtigen Gremium abspielt und wie dort mit gutem parlamentarischem Gebrauch Schindluder getrieben wird. Aber die SPD glaubt halt immer noch, dass sie sich das leisten kann.

Am Ende der Sitzung gab es dann noch einen Antrag zur Geschäftsordnung von der CDU Fraktion. Er kritisiert das o.a. Verhalten der SPD und stellt zur Abstimmung, dass zukünftig die Ausschussvorsitzenden in der Verbandsversammlung einen entsprechenden Bericht abliefern. Und, der Knaller: Dieser Antrag bekommt, gegen die Stimmen der SPD, eine Mehrheit, weil endlich auch mal die Stadt-Grünen der SPD die Gefolgschaft verweigert haben. Das hat den Herrschaften von der SPD den Jahresabschluss im ZRK total verhagelt. Darf vermutet werden…

In einem Allparteien-Gespräch soll zu Jahresbeginn das ganze Thema noch einmal erörtert werden. Wie auch immer diese Sitzung dann ausgeht: Die Blamage, das Zweckverbandserdbeben vom 5. Dezember 2018, war perfekt!



*Was ist der Zweckverband genau?

Der Zweckverband (ZRK) ist eine bedeutsame kommunalpolitische Instanz. Nach seiner Satzung und Geschäftsordnung hat dieser Verband nicht nur die Aufgabe für alle Gemeinden und Städte, die ihm angehören - als da sind Kassel, Ahnatal, Baunatal, Calden, Fuldabrück, Fuldatal, Kaufungen, Lohfelden, Niestetal, Schauenburg und Vellmar - den Kommunalen Entwicklungsplan, den Flächennutzungsplan, den Landschaftsplan und sonstige gemeindeübergreifende Entwicklungsmaßnahmen aufzustellen und fortzuschreiben. Der ZRK ist darüber hinaus auch mit der Wahrnehmung von interkommunalen Aufgaben und Projekten dann zuständig, wenn er hierfür einen Auftrag erhält. Hierzu gehört z.B. das interkommunale Projekt des Güterverkehrszentrums. Auch beim Flughafen Calden ist der ZRK eingebunden, u.a. bei der Entwicklung eines neuen, rund 80 Hektar großen Gewerbegebiets im Bereich alten Flughafens. Man kann sagen, dass praktisch bei allen relevanten raumgreifenden oder raumbeanspruchenden Maßnahmen der ZRK – meist über die Flächennutzungsplanung – mit im „Geschäft“ ist.



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Kommentare

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Marlis Cavallaro am :

Erstmal sehr herzlichen Dank für die erhellende Darstellung!!!
Sollten sich bei mir dazu einige Gedanken entwickeln, kämen sie später.
Allerdings ist den Bemerkungen, SPD betreffend, wenig hinzuzufügen.
Ich stimme
zu, dass dieses Trauerspiel auch für Menschen, die schon länger zur sozdemkr Partei auf Distanz gegangen sind, aus politisch-gesamtkunstwerklicheb Gründen kein Anlass zur Freude sein sollte...

MR am :

Hier sind zwei Themen gekoppelt. Erstens werden teils politische, teils Verwaltungsprozesse dargestellt, von denen der sog. Normalbürger so gut wie gar nichts weiß. Sozusagen das Hinterzimmer gemeindlicher Strukturierungen. Applaus dafür. Zweitens das Schicksal einer sich hessisch-feudalistisch gebenden Partei, die ihr Klientel mit der "sozialen Frage" des 19. Jhs verloren, sich mit dem Neoliberalismus verbündet hat, und der nun zur Umsteuerung nichts Neues mehr einfällt. Ich stimme Marlis zu, dass hier Schadenfreude (wie sie sich in den Kabarettsendungen breitmacht) nicht am Platze ist. Das ist wahrlich ein Trauerspiel, das in den 1950ern begann, als man gewaltsam "honorig" werden wollte - gegen die gewaltsame Diffamierung vor allem durch die Adenauer-CDU. Nun dümpeln sie ratlos in der erkämpften Mitte...

MR am :

Zur SPD noch einen kleinen Zusatz. Müntefering hat es in einem Aufsatz mit dem Titel "Was ist heute links" 2009 perfekt getroffen: "Dabei gab es lange Zeit eine Diskrepanz zwischen dem programmatischen und dem praktischen Teil des sozialdemokratischen Wirkens. Die einen erstrebten das Paradies auf Erden irgendwann, die anderen stritten für Kaffeepausen jetzt." Wir sind also jetzt bei der Kaffeepause angekommen.

Marlis Cavallaro am :

Kaffee ist leider auch schon vorbei, nur noch Muckefuck und abgestandene Limo...und wie im Herbst festgestellt, nicht mal die Wahlkampf-Geschenk-Kulis halten ordentlich...

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