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Geheimwaffe Kugelschreiber: Veranstaltung „Sicher durch den Alltag“ rüstet für den Ernstfall

Fast jeder kennt das mulmige Gefühl, das einen auf dem nächtlichen Heimweg beschleicht oder wenn plötzlich an der Haltestelle eine zwielichtige Gestalt auftaucht. Der Blick in die Kriminalstatistiken verrät: Gewaltsituationen sind allgegenwärtig. Und wer einmal Gewalterfahrungen gemacht hat, für den ist meist auch die Angst ein ständiger Begleiter. Wenn Angst und Opferrolle sich gegenseitig bedingen, ist es höchste Zeit, aktiv zu werden und aus diesem Teufelskreis auszubrechen.
Dauerhafte Anspannung ist selbstverständlich schädlich, doch die Angst sei auch eine sehr wichtige Emotion, betont der Kriminalbeamte Stephan Dithmar. Angst zwingt zur Vorsicht. Und wer vorsichtig ist, wird sich vorbereiten.
Die meisten Opfer werden von einem Übergriff völlig überrumpelt und wissen in der plötzlichen Stresssituation nicht, wie sie reagieren sollen. „Aber das muss so nicht sein“, meint Dithmar. Seit 1998 bietet er in und um Kassel die Veranstaltung „Sicher durch den Alltag“ an. An einer davon nahm die Vorsitzende des Fördervereins für Rothenditmold Ursula Strutwolf-Hahn teil und entschied: „Das können wir hier auch gebrauchen!“ Kurzerhand lud sie den Experten zu einem Informationsabend für Frauen im Stadtteiltreff Engelhard ein.
Als Zuständiger für Raub- und Tötungsdelikte kennt Dithmar seine Klientel und kann Betroffenen Tipps geben, mit denen sie sich auf den Ernstfall besser vorbereiten können. „Wenn man einen solchen Fall einmal erlebt hat, dann geht etwas in einem vor“, fasst er es zusammen. Besser als jahrelang in Angst zu leben sei die Überlegung, was man bei einem möglichen zweiten Mal besser machen könne.

Verräterische Körpersprache
„Vorbereitungen zu treffen, und seien sie auch nur gedanklich, sind schon einmal der richtige Weg“, weiß Dithmar. Bestimmte Methoden und Verhaltensweisen wie selbstbewusstes Auftreten lassen sich trainieren. Nicht selten kündigt sich eine Gewaltsituation im Vorfeld an und lässt Raum, zu reagieren. „Der Täter sucht ein Opfer, keinen Gegner“, erklärt der Experte. Deswegen dürfe man sich durch die eigene Körpersprache nicht als potentielles Opfer zu erkennen geben. Ein gesenkter Blick, nervöses Zappeln mit den Händen, ein unsicherer Stand – all dies prädestiniert, zur Zielscheibe von Angreifern zu werden. Wer möglicherweise schon mehrmals attackiert wurde, sollte sich fragen, was er bzw. sie selbst verbessern kann, empfiehlt der Kriminalbeamte. Denn auch die Körpersprache muss ein verbales „Nein!“ unterstützen, um insgesamt die Botschaft authentisch zu vertreten.

Einfach mal verwirren
Meist verfolgt der Täter über Provokation und Aggression eine simple Strategie. Zieht das vermeintliche Opfer jedoch vehement eine Grenze zwischen sich und seinem Angreifer, so tritt es aus seiner Rolle heraus. Resultat: Der Täter wird erst einmal verwirrt. Je länger ein Opfer sich dagegen die Attacken gefallen lasse, desto negativer entwickele sich die Gesamtsituation.
Nach der für den Täter unerwarteten Gegenwehr sollte man bestimmten Schrittes das Szenario verlassen. Einmal aus dem Sichtfeld des Angreifers herausgelangt, gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn – besonders bei betrunkenen Angreifern, denen stets mit besonderer Vorsicht zu begegnen ist. „Wenn man einfach den nächsten Bus nimmt, kostet einen das vielleicht 15 Minuten seines Lebens“, lautet der Ratschlag des Fachmanns. Den Helden zu spielen könnte man dagegen mit Leib und Leben bezahlen. Hat es der Angreifer „nur“ auf Geld abgesehen oder sind Waffen mit im Spiel, sollte man sich auf jeden Fall kooperativ verhalten – und sich dabei so gut wie möglich das Gesicht des Räubers merken.

Tipps im Alltag
„Schlüssel und Ausweis gehören nie in dieselbe Tasche“, schärft der Dithmar seinen knapp 20 Kursteilnehmern an diesem Abend ein. Von der Pin-Nummer neben der Bankkarte ganz zu schweigen. Und wer mit Stöckelschuhen gestylt ausgeht und weiß, dass ein nächtlicher Heimweg anstehen wird, sollte vielleicht erwägen, ob ein zweites Paar Schuhe, in denen es sich gut und schnell laufen lässt, noch Platz im Handgepäck finden.
Tritt der klassische Fall ein und man hat das Gefühl, von jemandem verfolgt zu werden, sollte der erste Griff zur Handtasche gehen. Statt verängstigt abzuwarten, rät der Experte in jedem Fall zur Aktion – nicht unfreundlich, aber bestimmt. Dreht man sich um und blickt dem Verfolger ins Gesicht, hat man schon mal einen möglichen Überfall von hinten vereitelt und dem Täter eventuell einen Strich durch die Rechnung gemacht, sich anonym mit seinem Diebesgut von der Stelle zu machen. Ein wahrer Notfall-Evergreen ist und bleibt das Handy. Wer lautstark telefonierend seinem Gesprächspartner (selbst einem vorgetäuschten) erklärt, an welcher Straßenecke man sich gerade befinde oder zum Beispiel einen Treffpunkt in der Nähe diskutiert, entgeht vielleicht durch diesen kleinen Trick gerade noch einer Gewalttat.

Mit dem Rücken zur Wand
Schwieriger sieht es aus, wenn der eigene Fluchtweg versperrt ist, wie sich die Situation immer wieder in öffentlichen Verkehrsmitteln darstellt. Der Kriminalbeamte rät daher, dem optischen Anreiz eines Fensterplatzes zu widerstehen und grundsätzlich einen Platz direkt am Gang zu wählen. Besonders leicht wird etwa in Bus oder Bahn die sogenannte Distanzzone von anderen unterschritten, meist aus Gründen der räumlichen Begrenzung. Doch gerade diese Situation kann von einer Gruppe ausgenutzt werden, um ihr Opfer einzukeilen. Ausgelöst durch das Unbehagen, das man empfindet, wenn eine fremde Person in die eigene Distanzzone eindringt, verhalten sich viele Menschen wie gelähmt. Doch genau diesen Zustand gilt es zu überwinden, erklärt Stephan Dithmar: „Was ihr tun könnt, wenn ihr bedrängt werdet, ist im Grunde ganz naheliegend, nur kommt man in einer extremen Situation oft nicht darauf. Ihr selbst müsst die Distanzzone wieder herstellen.“ Das gelingt, indem man ohne lange zu überlegen einfach aufsteht und sich woanders einen Platz sucht. Möglichst in der Nähe des Fahrers.

Richtig helfen – aber wie?
Raus aus dem „Magnetfeld“ des Täters ist auch die Devise, wenn man eine andere Person vor einem Übergriff beschützen will. Dass man dabei leicht selbst zum Opfer werden kann, ist weitestgehend bekannt. Grundregel ist daher, zu allererst die Polizei zu rufen. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen, kann helfen, doch eine Garantie auf Rettung von außen gibt es nicht. Wer direkt eingreifen will, sollte nie den Täter kontaktieren, sondern das Opfer ansprechen und es dann dem Wirkungskreis des Angreifers entziehen.
Sich in so einem Moment aus falsch verstandener Höflichkeit von einer gewalttätigen Person in ein Gespräch verwickeln zu lassen, ist fatal, denn dadurch baut man eine Verbindung zu ihr auf. Angst und Aufregung ziehen auch die eigene Sprechfähigkeit in Mitleidenschaft, nach fünf Worten beginnt man in der Regel zu stottern. Perfekt geeignet ist daher der Satz: „Lassen Sie mich in Ruhe!“ – auch als Signal für die Umstehenden.

A und O der Verteidigung
Ist die Situation einmal eskaliert, können selbst so banale Gegenstände wie ein Stift nützlich sein. Mit einem Kugelschreiber ist man offiziell nicht bewaffnet, jedoch um sich zu wehren, kann er sehr effektiv werden. Mittel wie Pfefferspray bergen die Gefahr, dass der Täter sie entwendet und gegen einen selbst einsetzt. Ein Stoß mit einer Metallspitze eines Kugelschreibers ist zwar durchaus schmerzhaft, führt aber zu keinen ernsthaften Verletzungen. Vor allem aber bedeutet er ein Überraschungsmoment für den Angreifer. Unerwartete Gegenreaktion, das A und O für die Verteidigung, lasse sich im Vorfeld üben, weshalb Dithmar einmal mehr fordert, sich einmal mit der Möglichkeit einer Gewaltsituation auseinanderzusetzen, bevor sie eintritt. Nicht immer führe das, was man tun kann, zum erwünschten Erfolg, räumt er ein. Doch immerhin habe man der Tat etwas entgegengesetzt – ein Faktum, das auch im Sinne einer späteren Aufarbeitung von Bedeutung ist.

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