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Einfach drauf hauen, mal richtig rein hauen.

Dr. Herbert Glasauer, Stadtsoziologe am Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung der Universität Kassel beschäftigt sich seit langem mit dem Thema "Öffentliche Sicherheit".
Angestoßen von den jüngsten Debatten im Landtagswahlkampf bat der Stadtsoziologe um Veröffentlichung dieses Textes in der kassel-zeitung.
Einfach drauf hauen, mal richtig rein hauen.

Angenommen, es gäbe eine ansteckende Virusinfektion, die für die Gesundheit der Menschen bedrohlich wäre oder ein anderes Bedrohungsszenario, welches das Wohlbefinden und die Lebensqualität gravierend in Frage stellen würde. In einem solchen Falle könnten wir wahrscheinlich davon ausgehen, dass die Politik sich Rat suchend an die entsprechenden Experten wenden und deren Ratschläge öffentlich verbreiten würde. Tangiert diese Beeinträchtigung jedoch die so genannte öffentliche Sicherheit, so sind die Reaktionen, insbesondere im konservativen Lager, völlig anders: Mit Ignoranz gegenüber der Komplexität des Themas und in konsequenter Nichtbeachtung der Ratschläge von Experten startet eine aufgeregte Geschwätzigkeit, welche wenigstens erschaudert und verwirrt.
So auch beim aktuellen Thema, der Jugendgewalt. Korrekterweise sollten wir von Gewaltdelikten männlicher Jugendliche aus unteren Sozialschichten reden, da weibliche Jugendliche hierbei kaum auffallen und jugendliche Amokläufer sich eher aus den unauffälligen Familien aus der Mitte der Gesellschaft rekrutieren. Auch Kochs rassistische Kennzeichnung der Jugendgewalt als „ausländisch“ ist völlig daneben und verdeutlicht umso mehr seine abstrusen Ordnungsfantasien von den Guten im ‚Inneren‘ und den bösen ‚Anderen‘. Obwohl hier geboren und aufgewachsen, gehören sie für ihn nicht dazu.

Brutalstmögliche Härte: Wölfe zu Lämmern
Wie soll auf die Gewalt dieser Jugendlichen reagiert werden? Die reflexhaft vorgetragenen Lösungsansätze wie härte Strafen, längeres Wegsperren, Sicherheitsverwahrung, Warnschussarrest, Ausweisung usw. signalisieren eines: brutalstmögliche Härte. Der jugendlichen Gewalt muss mit der Gewalt der Bestrafung entgegengetreten werden, denn: Die müssen endlich mal lernen, wo der Hammer hängt, wer der Herr im Hause ist. Die unausgesprochene und zugleich irrwitzige These unterstellt, dass die ‚Verrohung‘ dieser Jugendlichen der mangelnden Härte in der Erziehung in deren Familien geschuldet ist. Es ist jedoch nur schwer vorstellbar, dass diese männlichen Jugendlichen aus unteren Sozialschichten durch eine Kuschelpädagogik von Alt-Achtundsechzigern in den Familien verhätschelt wurden. In der Regel kennen sie eher die harten Versionen von Erziehung. Sie wissen um die Wucht von Ohrfeigen, sie kennen die stechenden Schmerzen von peitschenden Ledergürteln und die ewig schmerzenden Schwielen durch Schläge mit Kochlöffeln, Besenstielen und dergleichen mehr. Ihre Väter und Mütter haben sie gut vorbereitet auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum - und für die Härte des Lebens.
Sie kennen die Schmerzen von Gewalt und fürchten sie daher weniger als die Jugendlichen aus wohlbehüteten Schichten. Und sie kennen das Stigma in armen Verhältnissen leben zu müssen, die Schmach von schlechten Schulnoten, verpatzten Schulabschlüssen, Null Perspektive für das weitere Leben und um die Angst nicht als echter Mann erkannt zu werden.

Erfolg und Respekt, darin sind sie sich einig
Da sie sich nicht in Parallelwelten abschotten, sondern dazugehören wollen, besorgen sie sich die jeweils aktuellen Statussymbole und den Respekt für ihre Person - aber eben mit Gewalt. Was für die Wohlanständigen laut Sparkassenwerbung ‚mein Haus, mein Auto, mein Boot‘ ist, ist für diese Jugendlichen das tolle Handy, die coolen Markenklamotten oder der geile iPod. Während diese Jugendlichen sich die Symbole der Zugehörigkeit gewaltsam beschaffen, schaffen es die Wohlanständigen eher auf dem legalen Weg. Der legale Weg geht in bestimmten Kreisen dieses Klientels durchaus einher mit Steuerhinterziehung, Versicherungsbetrug und der illegalen Beschäftigung von ‚Polen‘. Die lukrativen Varianten derartiger Schnäppchen werden, wohlgemerkt nur im kleinen Kreis von Freunden und engen Bekannten, durchaus ausgetauscht.
Es geht mir hier nicht um die Rechtfertigung von kriminellen Delikten, weder bei den Jugendlichen noch bei den Bürgerinnen und Bürgern. Es geht mir vielmehr um deren Wesensverwandtschaft im Streben nach Anerkennung und Respekt - u.a. durch Statussymbole der Konsumwelt. In diesem Sinne unterscheiden sich Rapper, die Idole dieser männlichen Jugendlichen, und Manager von VW nicht grundlegend: ‚Dicke Schlitten und geile Weiber‘ haben auf beide eine stimulierende Wirkung und sind zugleich sichtbare Zeichen ihres Erfolges.

Haudrauf-Jugendliche und Haudrauf-Politiker - Brüder im Geiste
Und es geht mir um den Verweis auf die Wesensverwandtschaft von prügelnden Eltern einerseits und konservativen Politikern einschließlich ihrer Anhängerschaft andererseits. Letztere wollen uns weiß machen, dass eine Null-Toleranz-Strategie bei der Bestrafung von Delikten Erfolge erziele. Ich frage mich nur, woher sie diese Zuversicht - oder sollte ich es eher Dummdreistigkeit nennen - nehmen? Wieso sollte das offensichtliche Versagen von Härte in der Erziehung in den Familien, durch Härte in der Bestrafung von kriminellen Delikten behoben werden? Sollten sich christlich nennende Politiker hierbei einem Wunderglauben verfallen sein?
Wenn in den USA der menschenverachtende Drill von Jugendlichen in so genannten Bootcamps allenfalls für Rückfallquoten von 70-80% gut ist, wenn selbst die Todesstrafe nur garantiert, dass die Rate von Gewaltdelikten mit Todesfolge etwa zehnmal so hoch ist wie bei uns, dann muss ich derartigen Bestrafungsrambos unterstellen, dass sie gar nicht die Absicht haben das Gewaltproblem ernsthaft angehen zu wollen. Reflexartig reagieren sie auf die Wahrnehmung von Gewalt mit der Androhung von Gewalt in der Bestrafung - und enthüllen damit einzig die innige Wesensverwandtschaft von jugendlichen Tätern und strafenden Politikern.

Gewalt ächten - Privat und Öffentlich
Ist es trotz meiner kritischen Überlegungen sinnvoll und notwendig sich mit dem Thema Jugendgewalt zu beschäftigen obwohl dieses Thema mit unterschiedlichen Namen (Halbstarke, Gammler usw.) die Entwicklung der Bundesrepublik stets begleitete? Auch wenn das Gegenteil in der öffentlichen Debatte und von konservativen Politikern häufig behauptet wird - die überwiegende Mehrheit der Experten schließt eher aus, dass es in Deutschland eine Zunahme der Gewaltdelikte gibt und sieht in dem verstärkten Anzeigeverhalten eine erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Empfindlichkeit gegenüber derartigem Verhalten. Wir können also davon ausgehen, dass die Benutzung des öffentlichen Raumes in unseren Städten noch nie so sicher war wie heute. Gewisse Unsicherheiten gibt es für 18-25jährige Männer. Diese sind Täter und Opfer zugleich.
Und dennoch finde ich es notwendig und sinnvoll, Gewaltausübung weiterhin zu thematisieren und zu ächten. Ich finde es hervorragend, dass gegen den Widerstand insbesondere aus konservativen Kreisen, das Prügeln und Züchtigen von Kindern und Jugendlichen in den Familien thematisiert und schließlich gesetzlich geächtet wurde. Ich finde es hervorragend, dass insbesondere konservative Kreise, in Folge der Frauenbewegung heute akzeptieren müssen, dass es sich bei dem Zwang zur Erfüllung ehelicher Pflichten schlicht um Vergewaltigung in der Ehe handelt. Ich fand es ebenfalls hervorragend, wie große Teile der Menschen dieses Landes gegen die Lügen und Rechtfertigungen des amerikanischen Präsidenten für seinen gottgewollten Krieg im Irak aufgestanden sind.

Therapie für beide: Jugendliche und Politik
Daher ist es notwendig und sinnvoll sich auch weiterhin für gewaltfreie Formen des gesellschaftlichen Umgangs miteinander einzusetzen, in den Haushalten und Familien wie auch im öffentlichen Raum. Und daher ist es dringend notwendig, sich mit den vorwiegend triebgesteuerten männlichen Jugendlichen pädagogisch und therapeutisch zu beschäftigen, ihnen zu helfen, anders mit ihrer Wut, ihrer empfunden Minderwertigkeit, ihrer Stigmatisierung und Marginalisierung umzugehen.
Therapeutische Betreuung würde auch den konservativen Haudraufpolitikern und ihrer Anhängerschaft gut tun. Sie könnten sich ihrer verborgenen Gewaltfantasien bewusst werden, ihrer Wesensverwandtschaft mit den von ihnen so gehassten Jugendlichen und sich öffnen für effizientere Formen der Etablierung einer gewaltärmeren Zivilgesellschaft im körperlichen wie auch im verbalen Sinne.

Herbert Glasauer, Januar 2008

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