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„Eine andere Welt ist pflanzbar!“

Zehn Jahre gibt es sie bereits: Die Essbare Stadt. Was als „Guerilla Gardening“ und Kunstaktion begann entwickelte sich zu einem Vermittler zwischen Stadt und Zivilgesellschaft und lässt Kassel seit dem stetig grüner und genussvoller werden.

Bildquelle: Essbare Stadt e.V.
Kassel ist grün. Karlsaue, Nordstadtpark, Buga, Bergpark, Dönche und Park Schönfeld sind nur einige der vielzähligen Grünflächen innerhalb der Stadtgrenzen. Das Kassel jedoch auch „essbar“ ist, verdanken Bürgerinnen und Bürger Vereinen wie der Essbaren Stadt, die dieses Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiern. Sie initiieren Gemeinschaftsgärten – bereits 15 der 23 Stadtteile wurden von Mitgliedern des Vereins bepflanzt – leiten Workshops wie auch Spaziergänge für Interessierte und verstehen sich als Teil eines kasselweiten Netzwerkes von Menschen, die ihre Stadt positiv mitgestalten möchten. Bis es soweit war hatte die Idee einige Zeit zum Reifen. Karsten Winnemuth, damals noch Gärtnergeselle, besuchte 1996 Cornwall und lernte das Konzept der Permakultur kennen. Dauerhaft funktionierende Kreisläufe innerhalb von Lebensräumen sind der Ausgangspunkt dieser landwirtschaftlichen Philosophie. Sogenannte Systeme sollen miteinander funktionieren: Tiere, Pflanzen und Menschen leben in einem zeitlich unbegrenzten Miteinander – die Bedürfnisse jedes Bestandteils dieses Kreislaufes werden beachtet. Inspiriert von diesen Entdeckungen, kehrte Karsten Winnemuth mit neuen Ideen zurück nach Kassel: „ Ich erkannte, dass eine andere Welt pflanzbar ist und was für ein Potential in Pflanzen steckt.“ 2007 kam ihm dann die Idee zur Essbaren Stadt, die mit seinem eher künstlerisch- performativen Gärtnern am Lutherplatz einherging. Als das Stop von der Stadt kam und er nicht mehr im öffentlichen Raum gärtnern konnte, entschied er sich mit anderen zusammen 2009 den Verein zu gründen. Aus den anfänglich 16 Mitgliedern sind inzwischen mehr als 100 geworden und die Idee hat sich verbreitet: Deutschlandweit entwickeln sich immer mehr „Essbare Städte“.

Ernährungssysteme für die Zukunft denken
Neuland war für beide Parteien zunächst die Zusammenarbeit von Stadtverwaltung und Verein. Sie hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre zu einem guten Zusammenspiel entwickelt. Bereits zu Beginn bot die Stadt dem Verein eine erste Fläche; der „Essbare Park“ in Waldau entstand. Obstbäume, wie auch Wallnuss- und Esskastanienbäume sind seither für jeden Bürger Kassels frei zugänglich. „Wir nutzen Möglichkeiten, wie etwa das Stadtjubiläum 2013 um Projekte wie 'StadtFruchtGeNuss' realisieren zu können. Kasselweit pflanzen wir seit dem 1.100 Fruchtgehölze – das Ziel ist noch lange nicht erreicht aber es läuft gut“, sagt Karsten Winnemuth und Linda Rehn ergänzt: „ Bäume brauchen eine relativ lange Zeit um zu wachsen. Für jeden Baum planen wir etwa drei Jahre Anwuchszeit ein, dafür benötigen wir immer Baumpaten. Wir wollen Gartenkultur erlebbar machen und Gemeinschaftsgärten initiieren. Der Forstfeldgarten ist inzwischen mit 7000 qm der größte in ganz Kassel“. Das Gelände stellte die GWG dem Verein zur Verfügung. Gemeinsam mit dem Stadtteiltreff piano e.V. und der Kasseler Mach-Was-Stiftung hat die Essbare Stadt 2012 den öffentlichen Garten gegründet. Seit dem sind Hochbeete für ältere Menschen und Kindergruppen aber auch eine Bühne sowie ein studentisch initiierter Audiowalk innerhalb des Forstfeldgartens entstanden. Gemeinschaftsgärten wie der Forstfeldgarten oder auch der ebenfalls von ihnen betreute Gemeinschaftsgarten Wesertor haben laut Karsten Winnemuth eine politische Dimension: „Wir müssen uns Gedanken über das Ernährungssystem unserer Stadt und Region machen. Wie wird die Stadt resilient? Wie schöpfen wir mehr aus unseren lokalen Lebensmitteln?“
Für den Klimaschutz und die Umweltgerechtigkeit muss ein Umdenken in den Menschen geschehen. Regionale, wie auch saisonale Nahrungsmittel sollten gegenüber global bezogenen Lebensmitteln Vorzug haben. „Denken wir an die Zukunftsszenarien, die uns die Medien bereits jetzt aufzeigen, müssen wir gemeinwohlorientierter handeln und überlegen was wir als Stadt bewegen können. Es ist wichtig bereits jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen“. Ähnlich wie im angelsächsischen Raum erhofft die Essbare Stadt auch in Kassel einen Ernährungsrat aufbauen zu können, in dem sich verschiedene Akteure des Ernährungssystems vernetzen, um regionale Wertschöpfungskreisläufe und Infrastrukturen für Lebensmittel zu optimieren. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung wollen sie einen Ernährungsplan aufstellen und darüber nachdenken, was die Stadt der Zukunft essen wird.

Bildquelle: Essbare Stadt e.V.


Gemeinsam mehr bewegen
„Es gibt viele Initiativen in Kassel die die Stadt grüner und sozialer machen möchten“, weiß Linda Rehn – das Netzwerk „Docutopia“ sammelt mittels einer interaktiven Karte daher Vereine und Örtlichkeiten in Kassel, die die Stadt positiv gestalten. „Mit dem Projekt ‚KlimaKOSTmobil‘ möchten wir in Zukunft noch mehr Menschen erreichen und sie zum Mitmachen und zum Wirken im Stadtraum anregen. Aktuell fühlen wir uns als Impulsgeber, möchten aber gerne viel mehr noch beratend und unterstützend arbeiten!“, sagt Linda Rehn. KlimaKostMobil ist ein Projekt, dass örtlich in den Stadtteilen Bettenhausen und Forstfeld beheimatet ist. Damit begibt sich der Verein in den Bereich der Bildung. Jugendliche, wie auch andere interessierte Menschen haben die Möglichkeit aus den langjährigen Erfahrungen des Vereins zu schöpfen – hierfür entwickelten die Aktiven ein entsprechendes Mitmachequipment. „Unser Elektrolastenfahrrad ist ein Bildungsmobil und Erntefahrzeug, dass natürlich auch gerne ausgeliehen werden darf. Es ist mit Pflanz-Utensilien ausgestattet, so dass die Menschen lernen wie sie „Guerilla Gardening“ oder ganz eigene verrückte Ideen umsetzen können. Außerdem erkunden wir mit den Menschen ihre Stadtteile und motivieren sie ihr Wohnumfeld selbst zu gestalten“, sagt Linda Rehn.

Bildquelle: www.naturimsinn.de


Viele Ideen für die Zukunft
An Visionen mangelt es nicht. In einem Workshop am 06.04. im Sandershaus wird ein Kasseler Prototyp eines von der Universität Hohenheim entwickelten solaren Tunneltrockners gebaut, einem Automaten, der Kräuter, Obst und Gemüse aus den Garten durch Trocknen haltbar macht. In „Dörr-Workshops“ soll er im Laufe des Jahres eingesetzt werden. Der Forstfeldgarten soll sich zu einem Lernort weiterentwickeln und mehr Platz für Interessierte bieten. „ Wir freuen uns natürlich auch, dieses Jahr zu feiern“, sagt Linda Rehn, „Die Essbare Stadt ist nicht nur Gärtnern und politische Arbeit – es ist zu einem großen Teil auch Vereinsleben. Wir haben einmal im Monat ein Treffen in dem die Mitglieder untereinander ihre Schwerpunkte austauschen, darüber hinaus haben wir Veranstaltungen wie das „Schmecktakel“, bei dem wir gemeinsam kochen. Zur Zeit planen wir unsere Geburtstagsfeier am 4. und 5. Mai im Sandershaus.“ Des Weiteren überlegt Karsten Winnemuth ganz vorsichtig die Fühler auch überregional auszustrecken: „Das 'Essbare Städte Hessen Netzwerk’ gibt es noch nicht, aber das würden wir sehr gerne machen. Wir haben bereits früher schon Vorträge, etwa in Andernach, auf Konferenzen gehalten. Eine Vernetzung untereinander würde der Bewegung gut tun“. Gleichzeitig sieht sich der Verein hauptsächlich regional aufgestellt, das Augenmerk wird also auch in Zukunft in Nordhessen und insbesondere in Kassel bleiben. „Unsere Vision ist es, dass es in jedem Stadtteil mindestens einen Gemeinschaftsgarten gibt. Es wäre schön, wenn die Leute Spaß am Gärtnern finden und vielleicht auch beginnen, in ihren Vorgärten die Ästhetik von Nutzpflanzen zu entdecken“, sagt Karsten Winnemuth. „Wir hoffen das die Stadt als ein lebendiges System in die Zukunft gehen- und dabei allen Widrigkeiten des Klimawandels trotzen kann“. Linda Rehn ergänzt: „Das Mehr an Gemeinschaftlichkeit in unserer Stadt können wir jetzt schon spüren. Diese Verbindung zu den verschiedenen Menschen und den unterschiedlichen Szenen ist wirklich ein Geschenk. Durch Initiativen wie die Essbare Stadt kommen Menschen zusammen, die sonst nie aufeinander getroffen wären und es ist toll zu sehen, wie es sich in einem solidarischen Gemeinwohl leben lässt. Es braucht viele Freundschaften damit solche Projekte wie unsere entstehen können“.



Text: Johanna Groß

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Kommentare

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Marlis Cavallaro am :

Vielen Dank für den schönen Bericht!!!!
Ich habe auf Facebook einen Link gesetzt.- zur Homepage und zum Artikel.

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