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Die Totenfrau kommt!

Es gibt viele Arten, mit dem Tod umzugehen - die Bemalung von Totenschädeln ist nur eine davon. (© Museum für Sepulkralkultur)
Aberglaube gab es nicht nur im 'dunklen Mittelalter', sondern er ist immer noch allgegenwärtig. Die neue Sonderausstellung „Tutenfru“ im Museum für Sepulkralkultur beleuchtet abergläubische Praktiken.
„Wenn man unter einem Sarg durchkriecht, erwirbt man die Fähigkeit der Todesvorsehung.“ Wer möchte ausprobieren, ob das stimmt?
Ein riesiger, schwarzer Sarg ruht auf einem brückenförmigen Sockel. Das Licht ist gedimmt. Von der Decke hängen Figuren herab, die gespenstische Schatten an die dunkle Wand werfen. Ein bisschen erinnern die Schatten an schlafende Fledermäuse. Von irgendwoher ertönen undefinierbare Geräusche, die im Raum verhallen. Der Boden ist mit einem Hinweis versehen: „Wenn man unter einem Sarg durchkriecht, erwirbt man die Fähigkeit der Todesvorsehung.“
Heute gilt derartiger Aberglaube eigentlich als überholt und unvereinbar mit unserem aufgeklärten Weltbild. Dennoch weckt die Zahl 13 oft negative Assoziationen, einer schwarzen Katze möchten einige Menschen lieber nicht begegnen und um Leitern machen viele einen möglichst großen Bogen.
In insgesamt fünf Räumen stellt das Museum für Sepulkralkultur in liebevoller Gestaltungsweise abergläubische Weltanschauungen und Praktiken der letzten Jahrhunderte bis heute vor. Zum Schluss kann jeder, der möchte, noch an einer Umfrage zum Thema „Wie abergläubisch sind die Besucher des Sepulkralmuseums?“ teilnehmen.

Für immer erstarrt in einem stummen Todesschrei – diese mumifizierte Katze sollte im 17. Jahrhundert als Bauopfer die Hausgeister besänftigen.
Vorboten des Todes
Jenseits des Eingangstores empfängt der erste Ausstellungsraum den Besucher mit schummrig-dämmrigem Licht. Der Blick fällt zunächst auf eine ausgestopfte Ringeltaube, die in einem Glaskasten an der Wand thront. Aus den Lautsprechern ertönt ihr Ruflaut: „Tutenfru, tutenfru“ - so zumindest haben, laut dem Infotext zur Ausstellung, die Menschen im Mecklenburgischen ihn früher interpretiert. In der zeitgenössischen Vorstellung kündigte er den nahenden Tod einer Frau oder das Erscheinen der ‚Totenfrau‘ an. „Totenfrauen gab es bis zur Etablierung des Bestatterberufs allerorten. Sie halfen beim Waschen und Herrichten eines Verstorbenen“, verrät der Begleittext dazu.
Beim Weitergehen erwartet der Besucher fast schon das Auftauchen besagter „Tutenfru“, doch stattdessen findet er sich einer gläsernen Fensterfront gegenüber. Hinter dem Glas sind diverse Alltagsgegenstände arrangiert, die als Todesvorzeichen galten; beispielsweise verbranntes Brot oder eine elektrische Nähmaschine. Holte die Hausfrau ein schwarz angebranntes Brot aus dem Backofen, war der Schrecken groß: Bald würde ein geliebter Mensch sterben. Ferner waren auch Elektrogeräte wie Nähmaschinen ein schlechtes Omen, sobald sie wie von Geisterhand angingen.
Da der Tod sich unserer Vorstellungskraft entzieht, scheint es ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, ihn in unterschiedlichster Weise greifbar und damit vermeintlich kontrollierbar zu machen. Die Suche nach Todesvorzeichen im alltäglichen Leben stellt eine solche Möglichkeit dar, auf den Tod vorbereitet zu sein und eine Chance zu haben, auf das Schicksal einwirken zu können.

Das Skelett, gekleidet in Lumpen, ist eine klassische Todesdarstellung.
Todesdarstellungen und Bestattungsriten
Der Rundgang führt weiter in den nächsten Raum, in dessen Mitte gespenstische Figuren von der Decke herabhängen. Ihre schwarzen Rückseiten scheinen wie unheimliche Schatten in der Luft zu schweben. Eine der Figuren, eine weiße Frau, dreht sich jäh um und schaut den Besucher aus leuchtend grünen Augen an.
Rundherum finden sich verschiedene Todesdarstellungen aus den Medien Zeichnung, Skulptur, Kunstguss und Spielfilm aus der Zeit von circa 1800 bis heute.
Im Hinblick auf den Tod erscheint es nur logisch, dass die Menschen ihn nicht nur auf seine Vorzeichen, sondern auch auf seine Erscheinung hin deuten wollten. Seine vielfältige Personifizierung erfuhr der Tod oftmals durch die Darstellung als Skelett, Fährmann, oder eben als jene weiße Frau mit grünen Augen. Todesbilder sollten ihren Betrachtern ins Gedächtnis rufen, dass der Tod jederzeit kommen und dass nur ein gottesfürchtiges Leben ihre Seelen vor der ewigen Verdammnis retten kann.
Beim Verlassen dieses Raumes sollte der Besucher aufpassen, nicht in den von der Decke hängenden Fährmann hineinzulaufen – wer weiß schließlich, ob das so ein gutes Omen wäre.
In der Mitte des nächsten Raumes ‚schwebt‘ dann ein weißes Leichenhemd über einer hölzernen Totenbahre, deren dunkle Farbe an vielen Stellen bereits abblättert. An einer der Wände stehen ein Grabstein, mehrere Totenbretter und das Fragment eines Grabgitters vor der schwarzen Silhouette eines Friedhofs. Gegenüber gibt es Trauerkleidung sowie diverse Gegenstände, zum Beispiel Rosenkränze und Sterbekreuze, zu sehen, die als Hilfsmittel bei Bestattungsriten fungierten.
Diese zielten einerseits darauf ab, die Seele des Verstorbenen sicher ins Jenseits zu geleiten. Andererseits sollten sie aber auch die Verbliebenen vor Geistern schützen, die im Diesseits Unruhe stiften und im schlimmsten Fall andere Menschen mit sich in den Tod reißen konnten.

Wirkungsvolle Zauber erfordern manchmal ungewöhnliche Zutaten.
Zauberei und Hexenwerk
Für „okkultistische und spiritistische Praktiken“, so das Beiheft, nutzten die Menschen in früheren Zeiten viele Gegenstände aus der Natur und Alltagswelt, denen sie magische Eigenschaften zusprachen: Mumifizierte Katzen, ein skelettiertes Huhn, eine abgetrennte Hand, Huf- und Sargnägel, Kreuze, Knochen, Bodenfliesen, Totenschädel und Bernstein galten als magische Gegenstände. Diese Zauberutensilien, die den Besucher im vierten Raum erwarten, sollten es unter anderem ermöglichen, Totenbeschwörungen durchzuführen, Wahrsagerei zu betreiben oder Maßnahmen zur Abwehr vor Wiedergängern zu treffen – also vor Gespenstererscheinungen von Verstorbenen, deren Seelen nicht erlöst sind.
In einem Regal, wie es in einer Hexenhütte stehen könnte, stehen weitere Zauberzutaten, unter anderem Bohnenmehl, Hühnerfett, Wermuth, Anis, Fingernägel und Zähne. Darüber hinaus liefert die Ausstellung auch die dazugehörigen Rezepte. Diese, so glaubte man, mussten genauestens befolgt werden, damit der Zauber, beispielsweise ein Schutzzauber gegen böse Mächte, die gewünschte Wirkung entfalten konnte.
Als letztes Ausstellungsstück hängt über dem Ausgang ein hölzerner Hausbalken aus dem 18. Jahrhundert, dessen Magie das Haus und die Menschen darin schützen sollte. Klassischerweise hat man solche Holzbalken über Eingangstüren angebracht. Die eingeritzte Inschrift „Hin gehd die Zeit her kompt der Dodt / O Mensch thue Recht und furchte Gott“ ist, so das Begleitheft, „als wörtliches Pendant zu den Memento-Mori-Darstellungen der damaligen Zeit zu begreifen; diese gemahnten zur Gottestreue und zur stetigen Auseinandersetzung mit der irdischen Vergänglichkeit.“

Achtung! Bitte nicht in den Fährmann hineinlaufen.
Aberglaube heute
Neben einem Sarg mit eingraviertem Blumenmuster und Totenkopf-Bettwäsche laufen im fünften und letzten Ausstellungsraum auf insgesamt drei Bildschirm Interviews mit Menschen, die ehrenamtlich oder beruflich mit dem Tod konfrontiert sind. Unter anderem geben ein Bestatter aus Fulda, ein Pfarrer aus Calden sowie der Leiter der Kasseler Friedhofsverwaltung Einblicke in ihre Erfahrungen mit Aberglauben in Bezug auf den Tod. So zum Beispiel berichtet der Pfarrer: Als eines Nachts plötzlich die Kirchenglocken zu läuten anfingen, erschrak seine Kollegin und deutete dies als Zeichen dafür, dass bald jemand sterben würde. Der Pfarrer selbst wiederum erklärte sich diesen Zwischenfall durch einen Windzug oder ein ähnliches natürliches Phänomen.
Auf einer ‚Weltkarte des Aberglaubens‘ ist der Besucher selbst gefordert: Hier kann er von seinen Erfahrungen mit Aberglauben im Ausland erzählen. Diese Erfahrungsberichte werden hinterher an die Weltkarte angebracht und so späteren Besuchern präsentiert.
Denn auch in unserer modernen Welt ist der Aberglaube immer noch präsent, wie unter anderem die eingangs erwähnte Umfrage unter den Besuchern des Sepulkralmuseums zeigt. „Der ‚moderne‘ Aberglaube setzt magische Mittel ein, um lebenspraktische Vorteile zu erzielen“, heißt es im Begleitheft. So zum Beispiel glauben einige an die magische Kraft von Edelsteinen, andere wiederum befragen ihre Tarotkarten in schwierigen Lebenslagen. Diese zeitgenössische Form der Spiritualität spiegelt sich nicht zuletzt im riesigen Angebot des Esoterik-Marktes und in der großen Nachfrage nach Dienstleistungen wie Wahrsagen oder Geisteraustreibung wider.

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Kommentare

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Klaus Baum am :

danke für den ausführlichen beitrag.

Lichtenberg sagte einst: Dass in den Kirchen gebetet wird, macht den Blitzableiter auf ihnen nicht überflüssig.

Die Arthur-Conan-Doyle Geschichte vom Hund der Baskervilles markiert die Ablösung des Aberglaubens und der Magie durch natürliche Erklärungen.

MR am :

Und damit nach Latour die Ablösung des Aberglaubens durch die "Morgenröte" der Naturwissenschaften. ("Wir sind nie modern gewesen")

MR am :

Übrigens ein toller Artikel!

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