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Das Buch zur Wahl eines deutschen Stinkstiefels

Der Journalist Deniz Yücel beschrieb in einer Kolumne der TAZ den kommenden Bundespräsidenten als „Stinkstiefel“. Der als links geltende Obergrüne Jürgen Trittin faltete aus diesem Grund die Chefredakteurin der TAZ vor versammeltem Talkshow-Publikum zusammen und warf Yücel „Schweinejournalismus“ vor. Erhob sich seinerzeits ein Proteststurm, als der gewesene Präsident bei der Bildzeitung anrief um sich über die Berichterstattung über seine Person zu beklagen, so blieb dieses Mal die Meute still. Warum dies so ist, ist in dem kurz vor der Wahl erschienen Bändchen „Ein Super-GAUck. Politische Kultur im neuen Deutschland“ nachzulesen, indem auch noch mal Yücels Text abgedruckt ist.
Der Mitherausgeber, Politikwissenschaftler Clemens Heni und der Mitautor, Historiker Wolfgang Wippermann beschäftigen sich in ihren Aufsätzen ausführlicher mit dem Phänomen des passionierten Antikommunisten und „Holocaustverneblers“.

Wippermann hinterfragt in seinem Beitrag kritisch die Bedeutung der so genannten Gauck-Behörde. Gauck, der in der DDR Theologie studierte um dann Pfarrer zu werden, trat 1989 in Erscheinung, als er dem „Neuen Forum“ beitrat und im März des folgenden Jahres in die Volkskammer gewählt wurde. Dort übernahm er das Amt des Leiters des „Sonderausschusses zur Kontrolle des MfS“. Daraus wurde dann nach der Vereinigung die so genannte Gauck-Behörde, die mit bald mehr als 3.000 Mitarbeitern, zehnmal mehr Personal, als die „Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg aufweisen konnte. Dieses Verhältnis beschreibt plastisch, welchen politischen und theoretischen Stellenwert die antikommunistisch-totalitarismustheoretische Staatsideologie dem Nationalsozialismus und der Shoah im Vergleich zum „Kommunismus“ gibt.

Die vielen Auslassungen des Joachim Gauck und seine politischen Wirkungsfelder werden dann vor allem von Heni in einem Parforceritt kritisch und exemplarisch dargestellt. Gauck ist nicht nur Antikommunist, sondern ein penetranter Vertreter jener verballhornten Totalitarismustheorie, die nahtlos in die Ideologie der neuen Rechten übergeht, für die der Archipel GUlag „ursprünglicher“ als Auschwitz gewesen sein soll. Die These Noltes, die 1986 noch auf massiven Widerspruch sowohl in der liberalen Öffentlichkeit als auch im Wissenschaftsapparat stieß, ist, wie Heni darstellt, mittlerweile Staatsräson.

Folgerichtig feiert nicht nur eine vordergründig merkwürdige Koalition von SPD bis CDU, die Mainstream-Medien von „Frankfurter Rundschau“ bis zur „Die Welt“ Gauck als den ideellen deutschen Gesamtpräsidenten, sondern auch das rechtsextreme Blatt „Junge Freiheit“. Diese formulierte den Spruch „Wir sind Präsident!“.

Dass diese Interpretation der Rechtsextremen kein unverdienter Beifall für den kommenden Präsidenten ist, sondern Ausdruck der politischen Kultur Deutschlands, damit beschäftigen sich zwölf verschiedene Autoren des lesenswerten Büchleins. Es ist in der Edition Critic erschienen und kostet 13,00 EUR.

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Kommentare

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Pro Gauck am :

So viele Hirnwindungen gibt es gar nicht, um Herrn Dörge gedanklich nachschwurbeln zu können. Ich finde es toll, dass Gauck Präsident wird. Mögen die Autoren dieses "Büchleins" ob seiner Existenz verzweifeln.

Rudi am :

Danke für den Artikel!

Richard Kallok am :

Das Bild von Gauck als einem strikt anti-kommunistisch inspirierten Stasi-Jäger ist nicht richtig. Gauck ist kein Ideologe, und das hätte ihn für die herrschenden Kreise auch nicht interessant gemacht. Gauck hat sich aber als ausgesprochen anpassungsfähig erwiesen, ob als Kirchenfunktionär und DDR-Reisekader, als Chef der Gauck-Behörde oder in den letzten Jahren als Kulturkämpfer.

Es ging nach 1989 auch gar nicht darum, gegen Stasi und DDR-Funktionäre eine schonungslose Hexenjagd zu beginnen. Man wollte sich die Anpassungsbereiten zu Nutze machen und nicht zuletzt auch verhindern, dass bestimmte Kapitel der deutsch-deutschen Zusammenarbeit, wie z. B. beim internationalen Waffenhandel, ein öffentliches Thema werden.

Und da war Gauck der richtige Mann. Die ganzen Fragen im Zusammenhang mit der Devisenbewirtschaftung der DDR erklärte er zu einer Art Tabuzone. Der Koko-Chef, Stasi-Generalmajor Schalck-Golodkowski, war für Gauck "unbedeutend". Immerhin war Schalck-Golodkowski von der DDR-Regierung De Maiziere zur Fahndung ausgeschrieben worden, bevor er in einem Gästehaus der bayerischen Staatsregierung am Tegernsee wieder auftauchte.

Gaucks Jugend-Bekannter Lutz Dekcwerth fragt den Präsidenten-Bewerber in einem offenen Brief (steht auch im Netz) dann auch, warum er "Köchinnen, Hausmeistern und Kraftfahrern, die beim MfS angestellt waren, das Stigma des `Bösen" auf die Stirn gebrannt hat, aber hochrangige Stasi-Funktionäre weiterhin die Hoheit über die Akten behielten".

Die Nutzbarmachung von MfS-Mitarbeitern durch Regierungsstellen, Militär und Geheimdienste des vereinigten Deutschland werden anschaulich auch in dem Buch "Murder of Samarkand" des ehemaligen britischen Usbekistan-Botschafters, Craig Murray, geschildert. Die russisch-sprechenden Funktionäre verkehrten und verkehren mit den mittelasiatischen Despotien so vertraut wie früher, nur jetzt nicht mehr im Auftrag des Sozialismus, sondern der Demokratie und des freien Westens. Das Buch Murray`s konnte leider nie in deutscher Sprache erscheinen.

Dörge am :

Ein Lektürehinweis zur Behauptung, Gauck sei kein antikommunistischer Ideologe, man lese seinen Aufsatz in dem hochideologischen "Das Schwarzbuch des Kommunismus" - der Hinweis, dass die Gauck-Behörde hochrangige Stasifunktionäre laufen ließ, unterstützt Kalloks Behauptung auch nicht, denn das würde unterstellen, der Antikommunismus hätte etwas mit rationalem Denken zu tun. Das Gegenteil ist der Fall.

MR am :

Den verbalen Kraftaufwand betreffs Staatsoberhaupt halte ich für einsparbar. Wenn die sog. "Väter des Grundgesetzes" etwas gut getan haben, dann doch die mehr dekorative Ausgestaltung des Amtes mit dem Großen Vorsitzenden der Nation. Natürlich ist es hübsch, wenn er ein paar Sätze fließend sprechen kann und sich bei seinen Auslandsbesuchen nicht danebenbenimmt; aber eine Repräsentanz ist das gewiss nicht - wie dieselbige ja (wiederum: m.E.) sowieso auf den Prüfstand gehört.

BeSau am :

http://www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=a6

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