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Die Psychiatrisierung der Unbequemen

Vier Steuerfahnder werden von ihren Vorgesetzten angewiesen, bei verdächtigen Auslands-Transaktionen nur noch zu ermitteln, wenn es sich um Beträge über umgerechnet 255.000 Euro handelt. Sie verweigern sich mit dem Hinweis, dass die Banken und ihre verdächtigen Kunden Grossbeträge häufig stückeln. Die vier werden versetzt, wollen aber nicht schweigen. Ihr Dienstvorgesetzter lässt für alle vier psychiatrische Gutachten anfertigen, in denen den Steuerfahndern "chronische Anpassungs-Störungen" und "paranoid-querulatorische" Persönlichkeitszüge attestiert werden. Sie werden zwangs-pensioniert. - Kolumbien? Usbekistan? Nein, diese Geschichte spielt in Hessen.
Ihren Anfang nimmt sie schon bald nach der Regierungsübernahme durch Roland Koch. Die vier haben bis dahin Millionen an Steuernachzahlungen und Strafzahlungen erwirkt. Doch jetzt werden sie zu Störenfrieden. Ihre "Schnüffeleien" insbesondere bei Deutscher Bank und Commerzbank sind nicht mehr erwünscht, zumal immer wieder Spuren nach Liechtenstein führen und dort hatte auch die hessische CDU ihr Schwarzgeld geparkt.

Jetzt erst, nach ca. 9 Jahren, kommen nach und nach Einzelheiten des unglaublichen Vorgangs an die Öffentlichkeit. Ein einzelner Journalist, Matthias Thieme von der Frankfurter Rundschau, hat sich verdient gemacht. Eine wohlwollende Chefredaktion hat ihn gestützt. Andere Medien behandeln den Skandal, wenn überhaupt, nur als Randthema.

Die Beteiligten der obskuren Story, die bis in hohe Staatsämter zu finden sind, können sich bequem zurücklehnen. Mögliche Straftaten sind aufgrund günstiger Strafrechtskonstruktionen verjährt. Die psychiatrischen Gutachten wurden inzwischen für nichtig erklärt. Der begutachtende Arzt erhielt von der Ärztekammer einen Verweis und musste 12.000 Euro Strafe zahlen. Im Unterschied zu den Steuerfahndern ist er aber weiterhin im Amt. (Im aktuellen "Freitag" ist ein längerer Artikel über den Fall, in der Frankfurter Rundschau finden sich mehrere, auch im Internet abrufbare Artikel).

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Kommentare

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Martin Reuter am :

Die Freude darüber, dass diese schwindelerregenden Schwindel - die man sich ja so eigentlich schon längst gedacht hatte - nun auch ganz öffentlich auffliegen, ist groß. Vielleicht lernen Politik und Verwaltung daraus, dass man in der Selbsterhaltung von Macht langfristig seinen Arbeitsplatz gefährdet. (Vorausgesetzt, das Volk bricht nicht in das populistische: Kannste ma sehn, alles korrupte Gangster! aus...)

Sven am :

..dass eine Strafverfolgung der Verantwortlichen wegen Verjährung nicht möglich sei, halte ich für ein Gerücht. Aber bestimmte Herrschaften stehen hierzulande eben über dem Gesetz.

Richard Kallok am :

Die Behauptung, dass wegen Verjährung niemand mehr in dieser Sache strafrechtlich belangt werden kann, habe ich aus dem Artikel des i. d. R. seriösen "Freitag". Ich selbst kann das nicht beurteilen.

Herrn Reuter möchte ich allerdings widersprechen. Die FR hat zwar mehrfach über den Vorgang, auch an prominenter Stelle, berichtet (wobei die eigentlichen Helden natürlich die vier Finanzbeamten sind, die sich nicht haben unterkriegen lassen). Aber die FR ist eine Zeitung mit einem eher sozialdemokratischen Leserkreis und wird zudem in einer Stadt herausgegeben, in der es Zeitungen mehrerer Verlage gibt. Aber die ganze andere Medienmeute hat sich für den Vorgang kaum interessiert. Wenn man bedenkt, in welcher Weise z. B. die HNA den angeblichen Wahlbetrug von Andrea Ypsilanti über Wochen skandalisiert hat, ist das schon bemerkenswert. Koch, Schäuble usw. wissen genau, dass solch "schwindelerregender Schwindel" ihren Arbeitplatz erst gefährdet, wenn ihnen die mainstream-Medien die Gefolgschaft verweigern. Aber das ist nicht abzusehen.

Martin Reuter am :

Meine Haltung ist, dass man dem Gerücht von der "vierten Gewalt", die das maßgeblich zu korrigieren hat, was die Demokratie vergeigt, nicht zu folgen hat. Wir sind immer noch das Volk, das wir in Ausnahmezeiten kurz mal gewesen sind und immer wieder werden können.

Schaake am :

Wann waren wir nochmal kurz das Volk?

Sabine Scheffer am :

Ja, ja die Wunderwaffe Verjährung.
Es ist ein bekanntes Problem, dass die Verfolgung von Straftaten oft so lange hinausgezögert wird, bis die Verjährungh eintritt und keine Strafe mehr möglich ist.
Bei Herrn Zumwinkel wurde das anscheinend so gemacht und bei Sexualstraftaten ist das, meines Wissens, alltägliche deutsche Rechtspraxis.
Zu Zumwinkel siehe: "Der 65-Jährige soll über eine Liechtensteiner Stiftung Steuern in Millionenhöhe hinterzogen haben. Wegen Verjährungsfristen geht es aber nur noch die Hinterziehung von knapp einer Million Euro."
Es ging damals folgenlos durch einen Teil der Presse, dass der eine oder andere Richter die Strafverfolgung möglicherweise großzügig verschleppt hat, damit Zumwinkel möglicherweise nicht mehr verurteilt werden kann....
Siehe: "Auch, dass der Ermittlungsrichter eine Frist versäumte und die Taten aus 2001 deshalb verjährten, verliert sich nun in der Unerheblichkeit."
Außerdem kann und will ich es nicht mehr hören müssen, dass ständig Zumwinkels angebliche "Verdienste ums Land" betont und strafmildernd eingesetzt werden, bzw. wurden.

Verjährung ist eine unschlagbare Waffe in den Händen der Täter (und geschaffen für den Täterschutz.)
Das kotzt mich an!
(Was hier steht ist lediglich meine persönliche dümmliche Meinung!)

Martin Reuter am :

Bitte nicht rhetorisch selbstverdümmlichen! Die persönliche Meldung ist das Salz der Veröffentlichungserde.

Martin Reuter am :

Schon vergessen? Leipzig 1989. Dann wurden wir schnell wieder zu Leuten. (Vgl. Dirk Baecker, Poker im Osten)

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