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Das gibt es noch: Das gute alte rrrrrr

Das „Forum Ahlberg“ hatte für gestern Abend in eine splitter-gefährdete Umgebung eingeladen: das Glasmuseum in Immenhausen. Und der Bürgermeister hatte es ohne Glasbruchversicherung möglich gemacht. Und dann auch noch mit einem in allen Wassern gebadeten Schauspieler, der Schiller rezitieren würde.
Keine zehn Pferde (wie man so sagt: ich kam mit der Bahn) hätten mich normalerweise in so ein Sprachkonzert hineinbekommen. Eine Schiller-Rezitation? Man wagt ja sonst nichts mehr… Es wurde ein großes Vergnügen. Mein Busen und der meiner (rechten) Nachbarin wogten vom Pathos des Vortrags.
In Erregung versetzt wurden nicht nur wir von dem Grazer Rainer Hauer, dessen Ansehen von seinen Tätigkeiten als Dr. phil., Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter etc. herrührt. Dieser Histrione hatte das Thema „Macht“ ausgesucht, und entsprechend plastische Szenen waren ausgewählt, zum Beispiel die „Rede des Fiesco an das Volk zu Genua“ (1783). Hier kam das Publikum stellvertretend für das aufzuwühlende Bürgertum zum Einsatz. Soll man sich mit gereizten Zustimmungs- und Ablehnungsrufen für das Ekel, den edlen Stellvertreter oder einen „Ausschuß“ entscheiden? Auch die Rede des „bürgerlichen“ Marquis Posa an den doch etwas machtgeilen Philipp II. von Spanien im „Don Carlos“ („Sire, geben sie Gedankenfreiheit!“) atmete den Geist des aufkeimenden Freiheitswillens, wie man ihn in Weimar empfunden haben mag. (Diesen Komplottentwurf - katholischer Despot ersehnt menschliche Zuwendung, und auch noch vom protestantischen Gegner - konnte ich wegen Weimar zwar mir, aber mitnichten meiner Tochter zu Schulzeiten erklären.) Beim Dialog zwischen der katholischen Maria Stuart und der anglikalen Elisabeth I. war der Vortragende so schlau, die eifersüchtigen Weiber nicht selbst zu spielen, sondern nur zu markieren. Aber in der Kapuzinerpredigt aus „Wallensteins Lager“ (1798) konnte er den religiösen Kriegskritiker so recht herauswüten.
Es konnte nicht ausbleiben, dass der Monolog des Wilhelm Tell gegen den Landvogt mit der Armbrust gesprochen werden musste (ohne Pfeil und Apfel – ich hätte mich als Sohn schon zur Verfügung gestellt). Es war vorauszusehen, dass dies die anwesende echte Journalistin unwiderstehlich reizen würde, hier ihre signifikanten Bilder zu schießen. Denn nichts ist sinnfälliger als ein Schiller-Schauspieler mit einer echten Armbrust. Da bat derselbe höflich um Rücksichtnahme: die Blitzlichter irritierten ihn beim freien Vortrag. Und das eine ist mal wahr: Die echten Burgschauspieler, die mit dem echten rrrrr wird es nicht mehr lange geben. Auf jedes „r“ wird die GEMA bald einzeln Rechte anmelden. Und diese Gattung wird aussterben. Schließlich ist hier jedes Zitat eine Bildungsmine: "Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebe

Ich stellte mir zu Anfang Oskar Mazerath vor: eine kleine Arie, und sämtliche Glas-Exponate in dieser schönen Halle wären zu Bruch gegangen. Umso noch schöner, dass hier mal nichts zu Bruch gegangen ist. Einen Vortragenden, der sich klassisch-körperlich derart verausgabt, also echt arbeitet, den wird man nicht mehr so schnell finden. Und der anschließend so artige Komplimente an die Zuarbeit der ZuhörerInnen verteilt.

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