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Der Konzertbesuch

Harald Oeler und sein Akkordeon
Harald Oeler spielt Akkordeon und ich huste
Der freundliche Einzelhändler in der Wilhelmshöher Allee hatte am Freitag noch kurz vor 20 Uhr seinen im weitesten Sinne asiatischen Laden auf. Er habe Alles, indisch, ayurvedisch, chinesisch, japanisch und deutet mit einer ausladenden Handbewegung auf seine Ware. Er hat auch die sehr geschätzten Ingwer-Bonbons, Made in Indonesia, von denen ich mir eine effektive Hustenprophylaxe verspreche. Konzerte im Januar sind gefährlich. Ich habe zwei Päckchen Ginger Candy gekauft und lege mir ein Bonbon nach dem anderen in dem Mund. Das allein hätte dem Konzertbesucher, der sich höflich nach den zwei freien Plätzen neben mir erkundigt, zu denken geben müssen.
Im Eulensaal ist Harald Oeler mit seinem Akkordeon zu hören, dazwischen spricht Verena Joos über den Werdegang des Instrumentes. Harald Oeler beginnt mit De Profundis von Sofia Gubaidulina. Den Blasebalg bewegt er so rasch, dass ein mechanisches Geräusch - ähnlich das eines Hubschraubers - entsteht, das abebbt, steigt, fällt, schneller und langsamer wird. Töne kommen dazu, die zusätzlich dramatisieren, dann wieder kurze Zeit durch eine einfache Melodie verharmlosen. Ein heftiges Stück, das sich auf den Psalm 130 "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir" bezieht. Eigentlich ist es ein Toben auf dem Akkordeon, das versöhnlich endet. Die daran anschließende Mazurka ist nicht mein Fall, zumindest nicht nach diesem Schwergewicht, dafür werden die zwei Sonaten von Scarlatti durch Oelers Spiel so leichtfüßig und zart, wie noch nie gehört.
Der Wechsel im Programm von leicht zu intensiv macht mir Schwierigkeiten, obwohl er die Kunstfertigkeit von Harald Oeler in allen Sparten ob Jazz, Barock, Neue Musik, Tango besonders gut demonstrieren kann. Bachs „Chaconne d-Moll“ (Bachwerkverzeichnis 1004) hört sich plötzlich sehr unbekannt an. „Die Struktur des Stückes kommt zum Vorschein, sehr aufschlussreich“, kommentiert der anwesende Klarinettist Stefan Hülsermann. Dafür überwältigt mich Arne Nordheims „Dinosaurier“. Oelers Akkordeon wird eine CD zugespielt, die die live produzierten Töne überlagert und ergänzt. Das ist ein Klang zwischen Atmen und metallenem Sirren, wie ich ihn vorher noch nie gehört habe. Dinosaurier hört man auch nicht alle Tage. Und mitten in diesem grandiosen Stück setzt mein Hustenreiz ein. Erst ganz sacht und allem Anschein nach bezähmbar: schlucken, am Hals reiben, noch ein Bonbon, dann aber ist er nicht mehr zu halten. Hochrot verlasse ich den Eulensaal und huste unablässig dem Hausmeister etwas vor, der an der Ausleihe sitzt und uns und die Bibliothek bewacht. Wenn nicht schon geschehen, sollte dringend ein Stück mit auf CD zugespielten Hustenanfällen komponiert werden. Zweimal noch versuche ich, in den Saal zurück zu kehren, immer in der Nähe der Türe, die mittlerweile einen Spalt offen steht. John Zorns „ Road Runner“ , ein virtuoses Stück mit ständigen Anspielungen auf verschiedene musikalische Ohrwürmer, das von Oeler rasant gespielt wird, kann ich noch ein wenig mithören und lache mit den Anderen mit, über die abgebrochene Tonleiter, die am Schluss in der Luft stehen bleibt.
Der Zuhörer, der sich zuvor nach den freien Plätzen neben mir erkundigt hat, verlässt noch vor der Zugabe seinen Platz, ohne meine Entschuldigung entgegen zu nehmen. Der Rest des reichlich vorhandenen Publikums aber klatscht freudig, leider die einzige Bewegung, die ein Publikum einem Interpreten für seine Leistung zeigen kann. Soundcheck jedenfalls macht nach wie vor höchst interessante Konzerte und Ingwer taugt nicht zur Hustenabwehr.

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