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Kasseler Arbeitmarkt: Die Realität hinter den Erfolgsmeldungen

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich der Arbeitsagentur Kassel ist vom 2. Quartal 2008 zum 3. Quartal 2008 um 1018 zurückgegangen. Aber auch die Zahl der Arbeitslosen ist deutlich gesunken. Was sind die Geheimnisse dieses "Kasseler Jobwunders" der besonderen Art?
Mit dem Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 0,5 % innerhalb nur eines Vierteljahres weist Kassel nach dem von der Strukturkrise der Logistikbranche gebeutelten Bad Hersfeld den schlechtesten Wert in Hessen auf. Inzwischen befinden sich im Agenturbereich Kassel, der Kassel-Stadt und -Land sowie die Altkreise Witzenhausen, Fritzlar und Melsungen umfasst, nur noch 198.637 Menschen in einem regulären Arbeitsverhältnis. Die Erwerbsquote dürfte damit eine der niedrigsten im Bereich der alten Bundesländer sein.

Aber warum ist die Arbeitslosigkeit zurückgegangen, obwohl Arbeitsplätze abgebaut wurden? Immerhin waren Ende Juli noch 24.762 Menschen in Kassel und Umgebung als Arbeitslose registriert und sind es Ende Oktober nur noch 22.783. Dieser Rückgang erklärt sich z. T. dadurch, dass im Juli noch Menschen registriert waren, die dann in den Folgemonaten eine Ausbildung begannen. Einen wesentlichen Anteil am "Kasseler Jobwunder" hat aber die "aktive Arbeitsmarktpolitik".

Die Zahl der "Beschäftigungsmassnahmen mit Mehraufwandsentschädigung" (1-Euro-Jobs) und der "beschäftigungsbegleitenden Massnahmen" ist dabei von Juli bis Oktober nur wenig auf zusammen 4298 gestiegen. Deutlich zugenommen haben aber die sog. Qualifizierungsmassnahmen und zwar von 1105 auf 1685. Beim "Bewerbungstraining mit individueller Farbberatung", dem x-ten "IT-Einführungskurs" und anderen unsinnigen Weiterbildungsmassnahmen geht es natürlich vorrangig um eine Entlastung der Arbeitslosenstatistik. (Auch weil in diesem Bereich viel Geld in Richtung dubioser "Bildungsträger" bewegt wird, hat die Kasseler Agentur übrigens vor einiger Zeit einen Korruptionsbeauftragten ernannt).

Rein in die "Massnahmen" (ein Begriff aus dem Strafvollzug) - raus aus der Statistik, das ist ein Erfolgsrezept gerade auch der Kasseler Agentur. Doch "aktive Arbeitsmarktpolitik" umfasst mehr. Eines ihrer wichtigsten Instrumente ist es, Arbeitslose einem ständigem Stress und ständigen Schikanen auszusetzen, so dass möglichst viele sich vom Amt und aus der Statistik verabschieden. Die leben dann von Unterhaltsleistungen, Ersparnissen, Gelegenheitsarbeiten, retten sich evtl. in eine zweite Ausbildung, die Hausfrauen-Existenz oder die vorgezogene Rente, aber sind eben nicht mehr "arbeitslos". Aus Betroffenen-Berichten geht hervor, dass die hiesigen ARGEN, die von Agentur und Sozialämtern gemeinsam betrieben werden, in den letzten Wochen ihr "Instrumentarium" verbreitert und verfeinert haben.

Arbeitsmarktbericht und Arbeitslosenstatistik haben auf diese Weise ihren Aussagewert weitgehend verloren. Sie sind das Werk von Zahlenjongleuren und Wortakrobaten geworden und sollen vor allem für ein "gutes Konsumklima" sorgen. Für die "Künste" der Wortakrobaten liefert auch der Kasseler Oktober-Bericht wieder einige nette Beispiele. Der Begriff "Rezession" ist ersetzt durch die schöne Umschreibung "nachlassende Dynamik". Das was andere "Krise" nennen, ist für die Kasseler Agentur nur eine "Verunsicherung", z. B. in dieser Formulierung: "Im Segment Zeitarbeit, das aufgrund der Schnelllebigkeit sehr nah am Arbeitsmarkt ist, gibt es in vereinzelten Bereichen.....Verunsicherungen". Ansonsten vermittelt der Kasseler Bericht vor allem Optimismus. Ein Beispiel: "Bedingt durch die kommenden Wintermonate sind die Vermittlungschancen in ein befristetes Arbeitsverhältnis für Reifenmonteure ausgesprochen günstig". Sollte uns das nicht wieder Mut geben?



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Kommentare

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Martin Reuter am :

Was die "Wortkünste" betrifft: Das Missverständnis liegt m.E. da, wo "hinter Erfolgsmeldungen" eine "Realität" vermutet wird. Die Nachricht splittet sich in zwei: Erstens machen die Wortkünstler, PR-Menschen und Schönschreiber ihren Job wirklich gut. Was da jeden Tag - in Lust oder Frust - abgedrückt wird, ist meistens wirklich erstklassig. "Realität" aber machen wir alle - günstigstenfalls - selber. Es nützt also nichts, diese Verbreitungsklasse anzugreifen und die Quasi-Politiker zu meinen. Wir warten also weiterhin auf eine echte gute Nachricht aus dem Bereich, wo "kollektiv verbindliche Entscheidungen" getroffen werden (=Politik)?

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