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Kleiner Antitypen-Katalog für Kneipenbesucher

Nun gut, bei uns hier oben weit jenseits der Mainlinie steppt im Allgemeinen nicht gerade der Nightlife-Bär, wie es Ulla Meinecke mal formuliert hat. Aber der Hesse als solcher ist doch durchaus ein geselliger Typ, wenn auch regionale Mentalitätsunterschiede zu beobachten sind. Sei es bei einem Schoppen Ebbelwoi, der ja bekanntlich erst nach dem dritten Glas so recht zu munden beginnt, mit einem kühlen Bier in der Hand oder auch schlicht mit Limo: Von Karlshafen bis runter nach Neckarsteinach gesellt man sich gern zu einander und genießt gemeinsam die Freizeit. Bevorzugter Aufenthaltsort hierfür ist die Gastwirtschaft. Gern darf es auch eine sein, in der zum erfrischenden Getränk eine stärkende Speise angeboten wird.
Nun gibt es aber leider einige Zeitgenossen, die dem unbescholtenen Gast den Spaß zu verderben verstehen. Fünf Kategorien männlicher Kneipen - Vermieser hier einmal für Sie zusammengefasst.
1.Der Unüberhörbare

Eigentlich ist es völlig egal, wo er sich gerade befindet – seine Stimme vernimmt man auch noch in der hintersten Ecke des Lokals mit mindestens 100 Dezibel – aber er hockt meistens direkt an meinem Nachbartisch. Sollten wir also zufällig einmal in der gleichen Kneipe sein, keine Bange, er schreit schon in mein Ohr. Das ist Schicksal: Ich trete meistens auch in das einzige Kaugummi auf der Tanzfläche.
Was er schreit? Na, völlig egal. Eben alles. Hauptsache schön laut. Ganz gleich, ob er noch ein Bier möchte und die Kellnerin bereits mit gezücktem Bleistift vor ihm steht oder ob er seinem Kumpel von den Rindsrouladen in der Werkskantine berichtet – der Kerl brüllt.
Früher dachte ich in meiner Naivität ja immer, dass solche Typen ganz bedauernswerte Geschöpfe seien, die unter Schwerhörigkeit leiden. Mittlerweile hege ich eher den Verdacht, es könnte sich um eine Art von akustischem Exhibitionismus handeln.
Auf jeden Fall erfährt man vom „Unüberhörbaren“ viel mehr, als man jemals wissen wollte und das sogar dann noch, wenn nebenbei zwei Folkmusiker in die Saiten hauen und Trinklieder grölen wie neulich im Irish Pub:
„As I was goin’ Do spricht die Ahle doch glatt I saw Captain nu räum do endlich mo dinne dreckijen he was countin’ Unnerhosen vom Küjjentische and then produced my rapier unn ich hab’ geantwortet stand o’er and deliver was soll dann das Gemähre, Schnegge the devil he may take ya Das sinn do bloß drei Stigg! Musha ring dum Jo, unn uff eima war se weg dum a da…”

2. Der Schrei-Lacher

Hierbei handelt es sich genau genommen um eine Untergattung des Unüberhörbaren, wobei sich seine Lautstärke lediglich auf das Teilgebiet der Lach–Inkontinenz bezieht. Das Heimtückische an der Sache ist, dass der Schrei-Lacher meistens ohne jegliche Vorwarnung loslegt und dabei direkt bei 100 Dezibel einsteigt. Schöne Effekte erzielt er damit bei Damen und Herren in seiner Umgebung, die gerade ein heißes Getränk zum Munde führen. (Mein Tipp: Brandblasen sofort am Toilettenwaschbecken mit kaltem Wasser behandeln. Das beschleunigt die Wundheilung enorm.)
Eine Variante des Schrei-Lachens ist das speichelintensive Prust-Lachen. Clevere Lokalbesucher haben stets eine Speisekarte zur Hand, die sie gegebenenfalls geistesgegenwärtig zur Abwehr feuchten Niederschlags einsetzen können. Man sollte es nicht glauben, aber – Achtung – routinierte Pruster überbrücken eine Distanz von bis zu zwei Metern locker.
Nach langjähriger Beobachtung scheint es mir so, dass der Prustreiz bei ihnen besonders ausgeprägt ist, wenn sie selbst gerade einen kräftigen Schluck im Mund haben.

3. Der Eklige (Achtung, jetzt wird’ s echt eklig!)

Die Kategorie von Kneipenbesucher prokelt und fingert an allem herum, was irgendwie in Reichweite ist, vorzugsweise in den eigenen Ohr- und Nasenlöchern. Gern wird folgende Variante gebraucht: Den kleinen Finger leicht abspreizen und beispielsweise ins Ohr einführen - aber schön tief bitte – kleine Drehbewegungen vollführen und anschließend die Ausbeute bewundernd gegens Licht halten.
Nein, nein, dazu muss der geübte Ekel-Aspirant nicht sein Gespräch unterbrechen oder das Bierglas abstellen. Er ist da durchaus multitaskfähig, wenn diese Eigenschaft Männern auch sonst gern abgesprochen wird.
Wenn der Ohr- und Nasenbereich abgearbeitet ist, geht er meist zum exzessiven Bearbeiten der Kopfhaut über. Auch wenn es so scheinen mag: Diese Typen haben keine Läuse (hoffe ich zumindest immer). Sie verspüren in Gegenwart von essenden und trinkenden Zeitgenossen wohl einfach einen verstärkten Juckreiz an den Haarwurzeln. Auch hier wieder die Devise: Ordentlich schaben und dann fasziniert die Fingernägel anschauen. Der Vorteil für mich: Ich bin bei diesem Anblick wesentlich schneller satt und nehme nicht so viele Kalorien zu mir.
Unter die Kategorie „eklig“ würde auch noch der allseits beliebte Terror-Schneuzer und Schnutt-Nachgucker fallen, auf den ich hier allerdings aus Platz- und Ästhetikgründen nicht eingehen möchte.

4. Der Gucker

Vom Volksmund wird er auch gern salopp als Spanner oder Gaffer bezeichnet. Vom echten Spanner unterscheidet er sich dadurch, dass es dort, wohin er starrt, für normale Menschen gar nichts Interessantes zu sehen gibt. Der „In-Ausschnitt-Faller“ wäre also noch einmal gesondert zu behandeln.
Die Angehörigen der Gattung „Einfach blöd gucken“ sitzen vorzugsweise an der Theke oder an Ecktischen mit dem Rücken zur Wand, womit die Infrastruktur bereits gelegt wäre. Überwiegend handelt es sich dabei um Einzelexemplare, die wie bestellt und nicht abgeholt wirken, jedoch werden sie gelegentlich auch in Begleitung ihrer Partnerin oder eines Kumpels aktiv.
Ich bin davon überzeugt, dass die Manie des Gaffers nur auf dem Irrglauben beruhen kann, er selbst sei unsichtbar oder in der Lage, sich komplett hinter einem 0, 3 l – Bierglas zu verstecken. Anders lässt sich sein fortwährendes Gaffen bei geöffnetem Mund nicht erklären. Jede Person, die sich ihres eigenen Sichtbarseins bewusst ist, würde in Grund und Boden versinken, wenn man dies von ihr verlangte. Zeitgenossen, die so gestrickt sind, verleiten andere Menschen dazu, ihre Kleidung auf etwaige offene Reißverschlüsse zu kontrollieren und im Toilettenspiegel nachzuprüfen, ob womöglich eine Nudel an der Nase klebt.
Eine kleine Untergruppe der Gaffer, der offenbar durchaus noch bewusst ist, selbst gesehen zu werden, bedient sich beim Glubschen kleiner Tricks: Die Thekensitzer fixieren ihre Opfer zum Beispiel gern „mittelbar“, nämlich unter Zuhilfenahme der Spiegelleiste über dem Flaschenregal. Als Beobachtungsobjekt wird man dann der Lage gewahr, wenn man zufällig die starrenden Blicke des Gaffers im Spiegel streift. Sehr unheimlich! Auch die gute alte Tageszeitung wird nach wie vor gern zur vermeintlichen Tarnung genutzt.
Andere von ihnen wiederum nehmen eine dauerhafte Augenfehlstellung in Kauf, indem sie permanent aus den Augenwinkeln in die entsprechende Richtung stieren. Natürlich sind sie davon überzeugt, dass dies nicht auffällt. Natürlich fällt es auf. Defensives Zurückstarren hat übrigens nur in wenigen Fällen Erfolg, sondern animiert eher noch.

5. Der Fummler

Diesen Zeitgenossen muss man wohl in die Spezies der Dauerteenager oder Regredierten einordnen. Er wird wie von einem Zwang beherrscht immer dann tätig, wenn seine jeweilige Gefährtin in Reichweite ist. Reichweite ist in diesem Falle wörtlich zu verstehen, denn sobald er sie mit der Hand oder sonstigen Körperteilen erreichen kann, tut er es auch.
Da wird gefummelt, gefingert, gekrault und gegrabscht, dass es dem Außenstehenden als unfreiwilligem Beobachter die Schamesröte ins Gesicht treibt. Wer das Pech haben sollte, aufgrund räumlicher Enge neben der Angebeteten zu stehen oder zu sitzen, kann davon ausgehen, unfreiwillig ebenfalls ein paar Streicheleinheiten abzubekommen.
Ganz so, also wäre man allein im heimischen Schlafgemach, lässt der enthemmte Grabscher wie nebenbei seine Finger über sämtliche Körperwölbungen seiner Herzensdame gleiten und nicht selten auch erfreut dort ruhen.
Wie sich seine eigene Partnerin fühlt, so offen befummelt, scheint ihm einerlei zu sein, denn schiebt sie seine Hand sachte in weniger anzügliche Gefilde, so ist sie zwei Sekunden später „flutsch“ wieder dort.
Manchmal möchte man gar glauben, der Fummler halte sich selbst für einen fleischgewordenen Büstenhalter oder Miedergürtel. „Schaut nur!“, scheint er der ganzen Welt sagen zu wollen: „Schaut, wie perfekt diese weibliche Brust (diese Pobacke) in meine Handfläche passt!“ Besonders beliebt ist unter Seinesgleichen der beherzte Griff unter der Achsel der Partnerin hindurch. Wohl dem, der lange Arme hat!

(Ganz frisch Verliebte befinden sich in einem Ausnahmezustand geistiger Umnachtung, regredieren fast immer zu Teenagern und müssen sich deshalb hier nicht angesprochen fühlen.)

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Kommentare

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junge am :

herrlich, dass wir jetzt eine Hessen-Seite haben, kombiniert mit Kneipen-Ethnologie! Ich mags, muss aber vor allzu herabgesetzten Ekel-Schwellen warnen.

mädchen am :

lass Du Dich doch mal begrapschen!

junge am :

würd' ich ja gerne!

Anonym am :

Ich habe mich im Zusmamenhang mit ihrer Antitypen-Katalogisierung beim Einkaufen schon als Leilah-Fan geoutet. Aber hier möchte ich doch leise (!!) anmerken, dass es auch die holde Weiblichkeit - insbesondere in Gruppen und angeheitert - ohne weiteres schafft, erhebliche Dezibel-Werte durch kreischendes Lachen zu generieren. Schlimmstenfalls ergänzt durch drastische Beschreibungen irgendwelcher Typen, die dann wiehernd kommentiert werden. Da kann es sogar vorkommen, dass der nebenan sitzende Unbeteiligte kräftig angemacht wird...

Ich finde es gleichermaßen rücksichtslos - egal ob der Lärm männlichen oder weiblichen Ursprungs ist.

Leilah Lilienruh am :

Dieser erweiternden Anmerkung kann ich mich nur hundertprozentig anschließen. Solche "Damengruppen" können einen regelrecht in die Flucht schlagen - (gerade neulich in einer Pizzeria erlebt)- laut, schrill, enthemmt.
Und auch die übrigen Kneipen-Charaktere kommen sicherlich nicht ausschließlich bei Männern vor, meiner Beobachtung nach allerdings etwas häufiger. Darüber hinaus gibt es ja auch noch viele nervtötende Marotten bei Männlein und Weiblein, die ich gar nicht erwähnt habe.
Vielleicht mag sich ja jemand anders an die Ergänzungen heranwagen. Würde mich freuen.
Liebe Grüße, Leilah

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