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Logistikregion Nordhessen: Wunsch und Wirklichkeit

Ihr Gewerbegebiet im Stadtteil Unterrieden liege "im Zentrum der Verkehrsströme des neuen Europas". So preist die Stadt Witzenhausen das 83-Hektar-Areal an. Doch inzwischen reift dort der Weizen.
2 Mio. Euro hat die Stadt bislang in das vom Regionalmanagement zum "Top-Logistikstandort" erhobenen Gebiet im Schnittpunkt von 3 Bundesstrassen und unweit der Autobahnen A 7 und A 38 investiert. Strassen wurden gebaut, gepflasterte Bürgersteige angelegt und stilvolle Laternen installiert. Ergebnis: Auch nach 7 Jahren hat sich trotz niedrigem Grundstückspreis ab 21 Euro/qm kein einziger Investor gefunden. Ein Teil der Fläche wird von einem örtlichen Landwirt jetzt wieder für den Getreideanbau genutzt.

Witzenhausen steht nicht allein. In mehreren Orten der Region ist es aufgrund der Logistik-Euphorie zu gigantischen Fehlplanungen gekommen. Allein die Stadt Hess. Lichtenau sitzt auf 200 Hektar aufwendig erschlossener Gewerbefläche, - und hohen Schulden.

Natürlich hat die Globalisierung der Handelsströme und die Auslagerung sog. Man-power-Industrien in die EU-Billiglohn- und -Niedrigsteuerländer den Logistikbedarf merklich wachsen lassen. Auch in Kassel und seinen Umlandgemeinden haben sich in direkter Nähe zu den Autobahnen neue Verteilzentren und Speditionen angesiedelt, konnten bestehende expandieren. Bad Hersfeld galt bis zur Entscheidung des Amazon-Konzerns für einen Neubau in Leipzig gar als Modellregion für einen regionalen Wirtschaftsaufschwung mittels Logistikansiedlung.

Doch die Bedeutung der Logistik wurde von Anfang überschätzt. Zahlen über angeblich neu geschaffene Arbeitsplätze waren trügerisch, weil das europaweit rekrutierte Fahrpersonal eben unterwegs ist und sich keinem Standort zurechnen lässt. Heute kämpft der Strassengüterverkehr mit Überkapazitäten. Selbst Hessens Wirtschaftsminister musste jüngst einräumen, dass "sich die Branche in einem Konsolidierungsprozess befindet".

Und in Nordhessen wurde nicht nur die Bedeutung der Logistikbranche grundlegend falsch eingeschätzt, es gab gerade bei der Bahnanbindung von Gemeinden und Gewerbegebieten auch gravierende Versäumnisse. SCI, ein Consultingunternehmen der Verkehrswirtschaft, hat im Augsut 2007 das Wachstumspotential von 11 Logistikregionen Deutschlands untersucht und dabei Nordhessen die schlechteste Bewertung gegeben.

Handel und Industrie sind z. Zt. intensiv damit beschäftigt, die Logistikkosten zu reduzieren. Die Rationalisierung der Lagereiwirtschaft wird schon in wenigen jahren das vollautomatische Lager zum Regelfall machen. In Osteuropa hat die Industrie bisherige Zulieferer-Standorte zu vollwertigen Produktionsstätten umgerüstet, das verändert den Transportbedarf und senkt den Lagerhaltungsbedarf. Der Containerverkehr zwischen Ostasien und Europa wird sich sukzessive vom Seeschiff auf die Bahn verlagern. Die DB-Tochter Rialog ist Projektführer auf der "neuen Seidenstrasse". Die in Polen und im Raum Berlin als Endpunkte des trans-eurasischen Schienenwegs geplanten Terminals werden unserer Region neuen LKW-Transitverkehr bescheren. Aber die Verstetigung des Warenflusses nach Europa durch den Bahntransport wird so etwas wie "Lagerhaltung auf der Schiene" ermöglichen und den Bedarf an stationären Umschlagplätzen reduzieren.

Regionalplanung und Wirtschaftförderung in Nordhessen müssen sich angesichts dessen endlich flexibler ausrichten. Die Focussierung auf Logistik dient einzelnen Interessengruppen, aber nicht der Region.

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Kommentare

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Martin Reuter am :

Ich würde mir eine genauere Ausblicks-Übersetzung vom Kleinen ins Große und umgekehrt (also vom berühmten Lokal-Globalen) wünschen. Viele europäische Länder planen solche Giganto-Logisto-Zentren. Was soll da wohl das Nordhessische dafür oder dagegen tun?

Uli Barth am :

Die Fokussierung der Region auf die Logistik, scheint mehr zu sein, als das bedienen einzelner Interessengruppen. Nach
dem neuen Buch von
Hartmann | Geppert
(*Cluster*,
Die neue Etappe des Kapitalismus
ISBN 978-3-935936-62-0 | 224 Seiten | erschienen April 2008 | 14.00 € /)
steckt da eine neue Strategie des Kapitalismus hinter.

Richard Kallok am :

Danke für den Buchtip. Das der aktuelle Kapitalismus auf Cluster setzt und so etwas wie "gleiche Lebensbedingungen in allen Landesteilen" der Vergangenheit angehört, ist mir durchaus bewusst. Ich kenne mich ganz gut in Osteuropa aus und da ist diese Entwicklung noch offenkundiger (näheres auch unter "Cluster" auf meiner website www.infoseite-polen.de). Aber gerade vor dem Hintergrund dessen wird doch die ganze Idiotie der nordhessischen Regionalplanung deutlich. Statt im Zusammenwirken mit der Uni auf Dienstleistungsunternehmen mit hoher Wertschöpfung zu setzen und damit in gewisser Hinsicht die Region zukunftsfähig zu machen (z. B. auch durch den Ausbau der Bahnverbindungen), will man unter dem Einfluss bestimmter Gruppen das ganze Kasseler Becken in einen überdimensionierten Speditionshof verwandeln. Das wird zum Glück nicht ganz gelingen, aber der Schaden, den diese Leute anrichten, ist doch immens.

Martin Reuter am :

Das vornehm und exotisch klingende Wort "Cluster" besagt doch wohl nur, dass der Teufel mal wieder auf den größten Haufen scheißt. Dahinter soll "eine neue Strategie des Kapitalismus" stecken?

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