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Matthäi am Letzten: Über eine Bürgerversammlung in Niederzwehren

Normalerweise wäre sie am Donnerstagfrüh im Netz gewesen. Tatsächlich aber hat sich die Tastaturbedienung fast eine Woche lang gesträubt, die Schilderung des Ereignisses vom Mittwochabend (14.5.) in der Matthäuskirche wiederzugeben. Wenn man ihn denn hatte, konnte man den Glauben an eine Politik des intelligenten Verhältnisses zwischen Regierung und Regierten bzw. umgekehrt verlieren.
Das Szenario: Auf der leicht erhobenen Bühne 15 (fünfzehn) Vertreter des Magistrats; erste Reihe die Stadtverordnete Janz, Bürgermeister Junge, Oberbürgermeister Hilgen, Ortsvorsteher Böttger, Bürgerreferentin Welz, Stadtbaurat Witte, Kämmerer Barthel. In der zweiten Reihe diverse Referenten aus Betriebs- und Amtszuständigkeiten. Gegenüber der Bürger. Derselbe erhielt für die zu erwartende Diskussion grüne Zettelchen, auf denen stand „Meine Wortmeldung“. Eine echte Innovation, wie ich mir habe sagen lassen und wie sie auch Frau Welz als ‚strukturierend’ lobte. Herr Hilgen eröffnete: Man habe sich entschlossen, alle fünf Jahre in dieser Form einmal einen Stadtteil zu begehen, die Probleme vor Ort wahrzunehmen und einen „breiten bürgerschaftlichen Dialog“ zu führen. Das klang gut repräsentativdemokratisch. Er freue sich schon auf die kontroverse Diskussion. Herr Böttger stellte dann die anwesenden Mitglieder des Ortsbeirats vor. Die Aussprache war in zwei Blöcke einzuteilen: 1) Einzelfragen, 2) Langes Feld.
Die Einzelfragen: drehten sich beispielsweise um eine erhebliche Erweiterung des DEZ. Herr Witte berichtete über einen Wunsch des Betreibers, der entschieden zu viel Fläche benötige. Möglicherweise könne man mit einer wesentlich kleineren Konzeption einen Kompromiss erzielen. Ein FDP-inspiriertes Begehren bezog sich auf die direkte Baum-Demokratie: Man möge doch keine Baumschutz-Satzung errichten, sondern den Bürger selbst Sorge tragen lassen und dann sehen, ob er sich als mündig erweise. Herr Hilgen zeigt sich nicht geneigt. Befragt wurde weiterhin eine Meldung über Bauland-Ausweisung an der Baustraße (Nähe Leuschner-Sophie-Scholl-Str.) Die diesbezügliche Notiz in der HNA bezeichnete Herr Witte als „Falschmeldung“. Drei Beiträge beschäftigten sich mit dem Ärger, den Jugendliche durch Lärm, Vandalismus, Alkoholismus-Scherben etc. machen (Spielplatz am Fahrradhof, dito Frankfurter Straße auswärts, Grillplatz Niederzwehren. Frau Stadträtin Janz und das mit angesprochene Jugendamt beteuerten, sich dieser Probleme durch mehrmalige Präsenzversuche vor Ort angenommen zu haben: Man habe aber jeweils niemanden angetroffen. Mehr könne man nicht tun. Das war natürlich wenig zufriedenstellend. Die Idee, dass das für „Bürger“ nicht gut erträgliche Verhalten von Jugendlichen durch eben diese Bürger in Form von Erwachsenen, Eltern und Gesellschaftsmitgliedern herbeigeführt sein könnte, wurde nicht diskutiert. In Erinnerung ist mir schließlich noch die quasi ekstatisch vorgetragene Existenzfrage eines Bürgers geblieben, ob er denn nun mit seinem neuen Haus zu Niederzwehren oder Oberzwehren gehöre? Es schien sich um eine Frage von Leben und Tod zu handeln, allein, es wurde nicht erklärt, warum.
Nun also das ultimative Schlachtfeld. Herr Witte führte mit einem Fahrplan für die vorgeschrieben und rechtskonformen Verfahrensschritte (Bürgerbeteiligung, Offenlage etc. pp.) bezüglich Bebauung Langes Feld ein. Es werde jede Frage beantwortet. Um die Bürgerinitiative gründlich zu diskreditieren, hatte deren Mitglied Albert Pinkvohs anschließend die Idee, von Witte und Magistrat per Antrag für den zu erwartenden gerichtlichen Streitfall (Normenkontrollklage) „Chancengleichheit“ in Form der Finanzierung der Klage zu fordern.
An dieser Stelle wollte ich eigentlich den Saal schon verlassen, denn ein solcher Unsinn schlägt schwer auf’s Gemüt. Erstens kann in einer Bürgerversammlung wohl kaum, wie im Stadtparlament, ein beschlussfähiger Antrag gestellt werden; zweitens hat es die Welt noch nicht gehört, dass man seinen zukünftigen Prozessgegner um seine eigene Finanzierung bittet. Herr Hilgen führte denn auch plausibel vor Augen, was dies bedeuten würde: Die Stadt werde im Jahr sicher ein paar hundert Mal verklagt; wenn sie dann jedes Mal den Kläger finanzieren würde…
Ich blieb dann doch noch eine Dreiviertelstunde, und bekam weiterhin Deprimierendes zu hören. Ein weiteres Mitglied der Bürgerinitiative verschärfte die Angriffe, wollte schon zu einem vorbereiteten Referat ansetzen, wurde auch persönlich zu Hilgen. Dieser wiederum bat mehrmals „herzlich“ darum, ihm nicht die Redlichkeit abzusprechen. Ein OB und gleichzeitig Wirtschaftsdezernent sei einerseits ein Organ der demokratischen Legitimation, aber auch nur ein Mensch. Diesen Respekt erbitte er sich. Und schließlich gehe es ja ausschließlich um „Arbeitsplätze“. [Blech gab ich für Eisen: SPD!] Witte versicherte, er könne als Durchführer von weit über 500 Bebauungsplänen etwaigen Klagen gelassen entgegensehen und sagte der Bürgerinitiative zu, ganz besonders gut vorbereitet zu sein. „Aus Fehlern [die Kompostieranlage war angesprochen worden] lernt man besonders gut.“ Beim Thema der Einbeziehung von Prof. Katzschner blieb er bei seiner bisherigen Darstellung. Auf die Frage, ob er Kenntnis von dessen völlig anderer Darstellung der Beziehung zwischen Amt und Uni und seiner Kritik an der Fragestellung des Klimagutachtens habe, verneinte er. Das war ihm ersichtlich auch völlig wurscht. (Hier und da und öfter hätte er sich natürlich informieren können.)
Hier zeigt sich der Polit-Profi, und da sollte die Bürgerinitiative mal genau zuschauen. Von Natur aus ist er mit einer Konstitution versehen, über der sich ein dickes Fell spannt. Überaufregungen weiß er geschickt ablaufen zu lassen. Im Übrigen hält er sich eng an die Verfahrensvorschriften und beteuert unablässig, keine Frage werde unbeantwortet bleiben. Auf dieses Niveau muss man erstmal kommen, um es – wenn man an demokratischer Politik interessiert ist - wieder verlassen zu können.
Um 22 Uhr musste ich dann gehen. Für mich war „Matthäi am Letzten“. Das ist dann, wenn sprichwörtlich das Ende naht. Hier ist es politisch schon da.
Tragödie: Errichtung der modernen Demokratie auf Blutbasis im 18.Jh. Komödie: Konrad Adenauers „Man muss das Volk nehmen wie es ist“. Farce: Bürgerversammlung, Bürgerbeteiligung.

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Kommentare

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Gertrud am :

Das ist nur beim Betriebsrat so, da muss der Arbeitgeber die Kosten für Gerichtsverfahren übernehmen, die der Betriebsrat anzettelt. Ein erfolgreiches Verfahren, das meist zur außergerichtlichen Einigung führt. Also, Mitbestimmungsrechte für Bürger, gar nicht so schlecht gedacht vom Herrn Bürgerinitiativler, gell.

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