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Das Medium röhrt

So seht das ungefähr jeden Tag aus, leicht gedreht. Nach dem Handoutleaveletgive-
away von gestern.
Sehr amüsieren konnte sich, wer gestern Abend zum Fest der kommunizierenden Röhren ins Druckhaus der örtlichen Informationsumverteilungsanstalt gekommen war.
Aber nur unter einer Bedingung: Er/sie durfte als „Kulturschaffender“ nicht betroffen sein. Betroffen waren die runden Vierzig aber alle – mit Ausnahme des siebenköpfigen Präsentations-Teams. Die brennende, gleichsam sexuelle Frage: Wie komme ich rein? Was sind die Auswahlkriterien? Warum komme ich nicht rein? Warum bin ich so reingekommen, wie ich neulich drin war? War das nun ein echter Info-Orgasmus?
Das Team war übrigens gut „aufgestellt“. Man hatte sicher auch vom letzten Treffen gelernt, um Unterbrüche im System der kommunizierenden Röhren, sprich dem Meinungsaustausch zwischen Veranstaltern und Info-Disponenten, beseitigen zu können. Namen sind Schall und Rauch. Da gab es den cleveren Chefredakteur mit höheren Erläuterungs-Kompetenzen; den freundlichen Vermittler; die aufgeschlossenen Kolleginnen und Kollegen der Kulturredaktion; schließlich den jungen Modernen von der Online-Redaktion. Zunächst wurde in Ansätzen erläutert, wie so eine Zeitung funktioniert. Da konnte es dem Betroffenen schon angst und bange werden. Da soll ich reinkommen?
Informationen gab es auch. Z.B. konnte man hautnah nachvollziehen, warum Kulturnachrichten auf drei verschiedene Stellen verteilt sind, warum das unterschiedliche Vorlaufzeiten und Auswahlkriterien bedingt und wie lokale und überregionale Bedeutungen gesetzt werden. Z.B. wurde klar, dass „Das ist los in Kassel“ mehr eine Kunstseite mit hohem Selektionsgrad ist, weil da als „eyecatcher“ relativ viel Bild drauf ist und man ein wenig auf Bedeutung im Sinne von Besucherzahlen achtet. (Interessanterweise wurde ziemlich viel über Bildgestaltung diskutiert. Der Chef wies darauf hin, dass eine Zeitung ohne viel Bild einpacken könne, das hätten Studien ergeben. Mich erinnert das natürlich an die Bibel: starke Symbole fürs Volk, inzwischen untermauert durch die Wissenschaft von den „Wahrnehmungsgewohnheiten“.) Die naheliegende Vorstellung, mehr Veranstaltung und weniger Bild zu fordern, widersprach also der Seiten-Konzeption. Sodann erfuhr man, dass allgemein auf Ausgewogenheit und korrekte Abbildung der community geachtet werde, auch wenn dies aus der Einzelperspektive anders aussehe. Und schließlich kündigte der Onliner an, man werde den Internet-Auftritt perfektionieren und vor allem den Plan eines Veranstaltungskalenders zusammen mit der Stadt (Gesprächstermin nächste Woche) angehen. Das würde z.B. bedeuten, dass Termine per Maske selbst eingegeben werden können – so wie das jetzt bei der Kassel-Zeitung bereits möglich ist.
Es war schließlich am Chef klarzustellen: Erstens, dass eine Zeitung, die ausschließlich aus Kultur bestehe, von niemandem mehr gelesen werden könne. Das Argument ist schlagend: Jeder weiß, dass der übermäßige Konsum von Dickmanns zum Brechdurchfall führt. Zweitens benutzte er das böse Wort vom „kapitalistischen Wirtschaftssystem“, innerhalb dessen man operiere, weshalb man gelegentlich auch als „Monopolist beschimpft“ werde. Man bitte also zu beachten, dass schöne Vorstellungen aus dem System des Kulturschaffens nicht einfach in jenes System zu übersetzen seien.
Der engagierte weibliche Appell an die Zeitungsstellvertretung, man möge sich der Verantwortung gegenüber dem Kulturschaffen, insbesondere evtl. der „Bedürftigkeit“ (je nach Geldvorhandensein oder Abwesenheit desselben) bewusst sein, brachte die erschreckende Unkenntnis der Kulturkämpfer über die Arbeitsweise von Medien auf den Punkt. Natürlich wird das durch eine allgemeine Fiktion gefördert, das Medium sei das vierte Rad am Wagen der Demokratie („vierte Gewalt“). Das Medium also als Moralvertretung und Menschenrechtsschutzanstalt zugleich. Die Arena splittet sich in lauter kleine Bittsteller, die das Vierte Rad um Aufnahme in den Bund bitten. Kein Wunder: Wenn man den Monopolisten zur offiziellen und unverzichtbaren Institution gemacht hat, kann man Öffentlichkeit nur noch aus seiner Hand empfangen.
Ich konnte mich gut amüsieren. Weil ich kein Bittsteller bin.

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Kommentare

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Kulturschaffer am :

Man kann sich gut vorstellen, wie die Kulturschaffenden notgedrungen um Aufnahme winselten. Wenn der gelegentliche Monopolist nicht will, dann will er nicht. Es geht ja schließlich um Leserzahlen. (Es hat mir übrigens Spaß gemacht, Ihren Bericht zu lesen: Kein heuchlerischer Abstand)

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