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Mein Röntgenblick auf Bettenhausen - Teil 9 -

Warum manche Leute kein Geld haben und warum andere daran schuld sind......und der Staat.....und Leute wie ich...............
Gestern hat mir einer an der Straßenbahnhaltestelle erzählt, seine Freundin hätte im August mittags tot auf dem Sofa gesessen und seit dem ist ihm alles egal. Kaffee hätten sie getrunken morgens, dann sei er weg, um elf dann nach Hause gekommen und da wäre sie tot gewesen.
An den Drogen hätte es aber nicht gelegen, schließlich sei sie auf Methadon gewesen und daran stirbt man nicht. Hätte wohl eine Thrombose gehabt, Blutgerinnsel und tot.
Ihm sei jetzt alles egal, auch ob er stirbt und wann und wie und wo. Nur zwei Wünsche hat er noch: Erstens, er will sauber sterben, also gewaschen und ordentlich angezogen, damit er nicht stinkt. Damit das nicht auf seinem Grabstein steht, hat er gesagt, damit da nicht auf dem Grabstein steht, der Penner hat gestunken. Und der zweite Wunsch, da lacht er, der zweite Wunsch: Er will nicht nüchtern sterben, sondern knallebreit. Knallebreit! Da lacht er wieder und trinkt sein Bier. Die Leute gucken irritiert, ich auch. Seine Freundin ist nüchtern gestorben und das hat sie gar nicht verdient. Kann einem leid tun, nüchtern gestorben.
Ich hatte versucht an ihm vorbeizusehen, als er zu der Haltestelle kam und habe mich weggedreht. Dann fing er an zu brabbeln, laut. Montag krieg ich Geld, reicht eh nicht, Geld ist Geld, immer gleich alles weg, is eh nur Geld, is mir egal, reicht nich, hat noch nie gereicht. Wieso Montag habe ich gefragt, ist das der Erste. Nee, hat er gesagt, Donnerstag, erste November. Wieso kriegst du Montag Geld, habe ich weiter gefragt und mich über mich selber geärgert, dass ich so neugierig bin und mit so einem rede.
Ich bin was Besonderes, weil, dann kam eine Straßenbahn und ist vorbeigefahren, ich habe nichts verstanden. Er hat keine Wohnung. Keine Wohnung, habe ich gefragt, wo schläft du dann. Er hat nicht geantwortet, aber gesagt, Panama das geht auch. Die haben Notschlafstellen, da kann man hin, als Mann. Aber als Frau hat er gesagt und mich angeguckt, als Frau kannst du das nicht machen, die ganzen Drogensüchtigen und die Besoffenen und dann als Frau, das kannste nicht machen, das ist zu gefährlich.
Das Geld, das reicht nicht, hat er gesagt, ist nach drei Tagen alle, sind nur 300 Euro und ein bisschen. Wieso reicht das nicht habe ich gefragt. Ist zu wenige hat er gesagt: ich kaufe mir Montag einen Fernseher, 100 Euro und einen Wasserkocher, 100 Euro und eine Radio auch 100 Euro, dann isses weg. Ein Wasserkocher kostet aber nur 10 Euro habe ich gesagt. Empört. 10 Euro, nicht 100! Dann habe mich halt verrechtet, hat der Mann gesagt, verrechnet.

Dann kam sein Kumpel und wollte eine Kippe. Was willst du immer von mir, du schuldest mir noch 2 Euro und heute habe dir schon 30 Cent gegeben, dass krieg ich auch nicht wieder, was willst du immer von mir. Du hast doch auch eine Kippe, sagte der Andere, dann dreh mir wenigstens eine. Das mache ich nicht, von dir kriege ich das nie zurück. Aber du hast doch sogar ein Bier, sagte der Andere, warum gibst du mir denn nichts. Das Bier das habe ich anschreiben lassen, sagte der Mann. Und warum schreibt der mir nicht an, fragte der Andere. Ich bin da doch Stammkunde, sagte der Mann, vom ersten Tag, ich habe da immer einen Deckel. Aber ich bin doch auch Stammkunde, jammerte der Andere, ich habe 2,70 Euro Deckel gehabt und dann hat der mir nichts mehr gegeben. Nur 2,70 Euro, da gibt der mir schon nichts mehr! Aber du bist auch immer woanders gewesen, ich bin nur da, deshalb krieg ich noch, du bist immer woanders, dann gibt der dir nichts mehr. Aber ich habe doch nur 2,70 Euro Deckel, jammerte der Andere, warum gibt der mir nicht mehr. Du kriegst doch auch. Du hast da doch Geld in der Hand, dass sind doch 10 Cent, sagte der Mann, gib mir die, dann gebe ich dir eine Kippe. Aber die kann ich dir nicht geben, jammerte der Andere, gib mir trotzdem eine Kippe. Ganz weinerlich. Guckt mich dabei vorwurfsvoll an. Was willst du den mit den 10 Cent, warum bezahlst du deine Schulden denn nicht, du kommst immer schnorren und zahlst nie zurück. Dass du jetzt so Theater machst, das ist doch Scheiße, sagte der Andere, wegen 10 Cent, dass du Theater machst, dass merke ich mir. Was willst du mit dem Geld da, fragte der Mann. Das sammle ich mir für ein Bier, sagte der Andere, da muss ich sparen, dass kriegst du nicht von mir. Du hast doch auch ein Bier und mir schreibt der nicht an. Dabei schreibt der dir doch auch an. Weinerlich. Vorwurfsvoll.
Wohnst du noch am Hallenbad Ost, fragte der Mann. Der Andere weinte dann fast in meine Richtung: 600 Euro Miete soll ich bezahlen, dass kann ich doch nicht, ich habe doch kein Geld. Ach du Scheiße, 600 Euro, sagte ich und verstehe es nicht. Meine Mitbewohnerin ist doch ausgezogen, wie soll ich denn jetzt das Geld kriegen, das muss mir doch jemand geben, das habe ich doch nicht. Sehr weinerlich. Vorwurfvoll in meine Richtung! Das muss mir doch jemand geben!
Meine Bahn kommt, ich flüchte – ich kann ihm nicht helfen. 600 Euro? Am Hallenbad Ost? 600?

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Gertrud Salm am :

Sehr schöner Text.

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