Nun mal wieder die 68er, dekorativ-eintöpfig
Manche Gazetten können vom Strickmuster her nicht anders: Matschepampe aus bekannten Zutaten herstellen. Es geht um das Verhältnis „der“ 68er zur Familie, in einem Anreizartikel vom 7.8.07, der wohl Sehnsucht zum Kauf des neuen „Spiegel-Specials“ über die zeitgemäße „Sehnsucht nach Familie“ erzeugen soll.
Der Autor des Artikels hat es vom PlasterStrand über taz und FAZ zum Spiegel geschafft. Der Weg nach oben kann auch der Weg nach unten sein. 1968 jedenfalls war er 13 Jahre alt. Das bringt mich zu einem gegenwärtigen Bestseller in Frankreich: Wie rezensiere ich ein Buch, das ich nicht gelesen habe? Wie schreibe ich über etwas, von dem mir entweder die Anschauung fehlt oder das ich nicht mustergültig transportieren kann? Ein erstes Problem ist das Fehlen der lebendigen Anschauung. Ein zweites das von Generationenbetrachtungen überhaupt. Hier kann es nur zu Grobheiten kommen. Es sei denn, dass durch das Auftauchen der übernächsten Generation die mittlere allmählich verständlich wird.
Hitchcock hatte die whodunnits verspottet. Nun fragt der fiction-Kriminalist: Wer hat das mit den hohen Scheidungsraten, der Versinglelisierung und dem Patchworkismus verursacht? (Die antiautoritär vergewaltigten Kinder, die versauten Schulen und Pisa fehlen an dieser Stelle ausnahmsweise.) „Sind nun an diesem ganzen Schlamassel die 68er schuld?“
Vor der Antwort die abscheidende Diagnose: Zunächst mal ist ihre Sprache lächerlich, ihr Vorhaben lächerlich, das Neuigkeits- und Revolutionspathos lächerlich. Sie haben „die traditionelle Familie als Inbegriff des Spießigen und Autoritären“ verachtet. „Mit ihrer Suche nach neuen Lebensformen wollte sich die Nachkriegsgeneration auch von der NS-Verstrickung ihrer Väter und Großväter befreien.“
Too much. Also: „Der Fortgang der Geschichte ist bekannt.“ Das Wort „scheitern“ wird nicht ausgesprochen. Allerdings habe es sich, so der Autor im Selbstwiderspruch, um ein „großes Experiment“ gehandelt, „dessen geradezu mythische Ausstrahlung bis heute wirkt.“ So groß-mythisch, dass es als Anreiz für den Kauf eines Spiegel-Special dienen kann.
Was dem Schreiber „Verachtung der Familie“, „Feindbild“, „Kampf“, Mythos, the Fuehrer Dutschke als „Ikone und Matador“. Was dem zitierten Alt-68zigsten Psychoanalytiker Reimut Reiche der „’manisch-gewalttätige Rigorismus’, mit dem ‚das Band zwischen Eltern und Kindern’“ zum Zwecke einer unbewussten Schuldabwehr [Nazis!] ‚durchtrennt’“ werden sollte. Was dem Gerd Koenen ein „Programm der eigenen narzisstischen Neuerschaffung bzw. Selbstverwirklichung“ war. Das war dem Teilnehmer an der Veranstaltung weder ein Inbegriff noch eine Verachtung, sondern seine persönliche Not und Einsperrung. Da reicht kein Nachhinein-Gequake heran. Das ist der eine Teil der Geschichte: die „gelebte Erfahrung“ (Rancière).
Zwei große Witze zum Schluss. Der erste: Die in winziger Dosis richtige, im Allgemeinen falsche (sich wiederum selbst widersprechende) These des Autors ist, der ehemals große, nun durch Geschichtsernüchterung nur noch „großspurig angekündigte Versuch einer umfassenden Selbstaufklärung und Befreiung des Individuums“ sei „in wechselseitigem Psychoterror gelandet“. Gelandet! Aber umgekehrt zugleich in einer „einzigen großen Ersatzfamilie“. Richtig ist dagegen etwas, was möglicherweise den Original-Teilnehmern am Medien-Mythos 68 selbst am wenigsten bewusst geworden ist, dass sie nämlich Leistungen erbracht haben. 1) Die angebliche Ersatzfamilie Kommune und Wohngemeinschaft hat biederste Wiedereinführungen in die Gesellschaft vorgenommen. Es war nicht mehr bekannt, wie man kocht, wäscht, einen Haushalt ‚führt’, Geld paritätisch verwaltet, Leistungen für Schwächere erbringt und Beziehungen ohne Machtausübung gestaltet. Das musste nachgeholt werden. 2) Die Familie ist sowieso ein Kollektiv; der „Kampf“ um dasselbe trug sich auf der Basis von Heiraten („ewige Treue“…) und patriarchaler Organisation (Gehorsam) zu. Inzwischen dürfte die Sache doch ein wenig ‚demokratischer’ geworden sein. 3) Der Versuch einer Umkonstruktion von organisatorisch starren und traditionalen Kollektiven dürfte zukünftig für politische Ansätze sehr viel interessanter sein, als es sich die Schreibtischler träumen lassen.
Der zweite und etwas komplizierter Witz geht in all dieser Matschepampe völlig unter: Während sich die Revolutionäre, Protestanten, Rebellen, Freaks als Avantgarde fühlten, war ihnen ‚das System’ zuvorgekommen und hatte die Auflösung der traditionellen Familie schon längst eingeleitet: mehr Sex, mehr Konsum, mehr ‚Freizügigkeit’ und anything goes, Scheiß auf hausgebackene Moral etc. Über diesen Geschichtswitz ergebnisreich nachzudenken bedarf es mehr als eines Journalisten – kommerziell hin, nichtkommerziell her.
Hitchcock hatte die whodunnits verspottet. Nun fragt der fiction-Kriminalist: Wer hat das mit den hohen Scheidungsraten, der Versinglelisierung und dem Patchworkismus verursacht? (Die antiautoritär vergewaltigten Kinder, die versauten Schulen und Pisa fehlen an dieser Stelle ausnahmsweise.) „Sind nun an diesem ganzen Schlamassel die 68er schuld?“
Vor der Antwort die abscheidende Diagnose: Zunächst mal ist ihre Sprache lächerlich, ihr Vorhaben lächerlich, das Neuigkeits- und Revolutionspathos lächerlich. Sie haben „die traditionelle Familie als Inbegriff des Spießigen und Autoritären“ verachtet. „Mit ihrer Suche nach neuen Lebensformen wollte sich die Nachkriegsgeneration auch von der NS-Verstrickung ihrer Väter und Großväter befreien.“
Too much. Also: „Der Fortgang der Geschichte ist bekannt.“ Das Wort „scheitern“ wird nicht ausgesprochen. Allerdings habe es sich, so der Autor im Selbstwiderspruch, um ein „großes Experiment“ gehandelt, „dessen geradezu mythische Ausstrahlung bis heute wirkt.“ So groß-mythisch, dass es als Anreiz für den Kauf eines Spiegel-Special dienen kann.
Was dem Schreiber „Verachtung der Familie“, „Feindbild“, „Kampf“, Mythos, the Fuehrer Dutschke als „Ikone und Matador“. Was dem zitierten Alt-68zigsten Psychoanalytiker Reimut Reiche der „’manisch-gewalttätige Rigorismus’, mit dem ‚das Band zwischen Eltern und Kindern’“ zum Zwecke einer unbewussten Schuldabwehr [Nazis!] ‚durchtrennt’“ werden sollte. Was dem Gerd Koenen ein „Programm der eigenen narzisstischen Neuerschaffung bzw. Selbstverwirklichung“ war. Das war dem Teilnehmer an der Veranstaltung weder ein Inbegriff noch eine Verachtung, sondern seine persönliche Not und Einsperrung. Da reicht kein Nachhinein-Gequake heran. Das ist der eine Teil der Geschichte: die „gelebte Erfahrung“ (Rancière).
Zwei große Witze zum Schluss. Der erste: Die in winziger Dosis richtige, im Allgemeinen falsche (sich wiederum selbst widersprechende) These des Autors ist, der ehemals große, nun durch Geschichtsernüchterung nur noch „großspurig angekündigte Versuch einer umfassenden Selbstaufklärung und Befreiung des Individuums“ sei „in wechselseitigem Psychoterror gelandet“. Gelandet! Aber umgekehrt zugleich in einer „einzigen großen Ersatzfamilie“. Richtig ist dagegen etwas, was möglicherweise den Original-Teilnehmern am Medien-Mythos 68 selbst am wenigsten bewusst geworden ist, dass sie nämlich Leistungen erbracht haben. 1) Die angebliche Ersatzfamilie Kommune und Wohngemeinschaft hat biederste Wiedereinführungen in die Gesellschaft vorgenommen. Es war nicht mehr bekannt, wie man kocht, wäscht, einen Haushalt ‚führt’, Geld paritätisch verwaltet, Leistungen für Schwächere erbringt und Beziehungen ohne Machtausübung gestaltet. Das musste nachgeholt werden.
Kampf am Kochtopf
Der zweite und etwas komplizierter Witz geht in all dieser Matschepampe völlig unter: Während sich die Revolutionäre, Protestanten, Rebellen, Freaks als Avantgarde fühlten, war ihnen ‚das System’ zuvorgekommen und hatte die Auflösung der traditionellen Familie schon längst eingeleitet: mehr Sex, mehr Konsum, mehr ‚Freizügigkeit’ und anything goes, Scheiß auf hausgebackene Moral etc. Über diesen Geschichtswitz ergebnisreich nachzudenken bedarf es mehr als eines Journalisten – kommerziell hin, nichtkommerziell her.
Kommentare
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Sebastian Helwig am :
Hans Dampf am :