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Fernsehweh und Herzflimmern

Aus dem Hinterzimmer eines deutschen Fernsehtechnikers
Es zählt heute schon zu den schleichenden Katastrophen des Alltags, wenn Fernsehgerät, Videoplayer oder Satellitenreceiver einen Schaden haben. Ohne Fernsehen kann man auch in Deutschland kaum leben, obwohl alle natürlich "nur ganz wenig" schauen.

Wenn es dem Medium schlecht geht, muss sofort geholfen werden, ganz egal, ob zu Weihnachten, am Sonntag oder mitten in der Nacht. Denn die Besitzer leiden sehr stark mit. Ganz besonders betroffen sind ältere Damen mit labilem Bluthochdruck. Es kommt vor, dass der Fernsehtechniker nachts vom Notarzt aus dem Bett geklingelt und um einen Hausbesuch gebeten wird. Er soll sofort den kaputten Fernseher reparieren, weil blutdrucksenkende Mittel nicht mehr greifen. Der Techniker braucht für solche Einsätze zuallererst menschliches Einfühlungsvermögen und dann technischen Verstand. Er muss beispielsweise in der Lage sein, weinende Frauen mit guten Worten über den Verlust des medialen Gefährten hinwegzutrösten.
Die Frauen weinen meist nicht ohne Grund. Ihre Renten sind so niedrig, dass sie sich kein neues Gerät leisten können. Und gerade alte Menschen schauen oft nur noch fern. Man darf sie dabei auf keinen Fall stören. Auch wenn auf dem Bildschirm nur noch Schemen und Schatten zu erkennen sind, wird der so dringlich herbeigerufene Fernsehtechniker wieder heimgeschickt, weil er bei der Lieblingssendung stört: "Jetzt kommt gleich 'Heidi', können Sie nicht später wiederkommen?" Die kleinen Glotzer machen das anders. Sie setzen sich während der Reparatur vor den Fernseher und schreien Zeter und Mordio, wenn der Techniker die Programme durchschalten will. Manche Eltern können sich anscheinend dem Fernsehterror ihrer Schützlinge nur entziehen, wenn sie das Gerät in die Werkstatt bringen und es möglichst lange dort lassen. Andere wiederum kaufen sich schnell einen Ersatz oder lassen sich vom Händler ein Leihgerät aufstellen. "Bitte kommen Sie, der Fernseher ist kaputt." "Ja, ist es denn eilig?" "Das ist der Fernseher im Schlafzimmer. Das ist schon wichtig, dass der geht."

Wenn das Gerät wieder läuft, ist die Freude im allgemeinen groß. Die Alten im Altersheim freuen sich am meisten. "Die freuen sich immer, wenn jemand kommt." (ein Techniker) Aber es gibt auch arg enttäuschte Fernsehbesitzer. Eine Reparatur kann schrecklich sein, wenn hinterher das Bild so gut ist, dass es in die Augen sticht, die Farben zu farbig sind oder, noch schrecklicher, wenn die Reparatur teuer wird. "Das kann nur eine Kleinigkeit sein", ist ein beliebte Redewendung bei Kunden mit kaputter Gerätschaft, um schon von vornherein eine Art Niedrigpreis zu beschwören. Einem entnervten Techniker aus dem Hegau kommt da ab und an der Satz über die Lippen: "Meiner Großmutter hat auch nur eine Kleinigkeit gefehlt. Jetzt kann ich sie auf dem Friedhof besuchen."
Aber auch zahlungsfreundliche Kunden trifft es manchmal hart. Ein Mann vom Bodensee holte seinen für gutes Geld reparierten Fernsehapparat ab und stand nach einer halben Stunde mit dem völlig zerstörten Gerät wieder in der Werkstatt. Beim Transport in die Wohnung war er ausgerutscht und samt dem Fernseher die Treppe hinuntergefallen. Er blieb ganz, das Gerät wurde verschrottet.
Hochkonjunktur hat der Radio- und Fernsehtechniker, wenn die Olympiade eröffnet wird. Dann ist er nur noch im Außendienst. Bei Fußballübertragungen kann es passieren, daß nichts mehr zu reparieren ist, weil der enttäuschte Fan den Fernseher aus dem Fenster geschmissen hat.
Aber es gibt ja nicht nur Fernseher. Technische Medien im allgemeinen sind zu verschiedenen Zeiten äußerst anfällig. Kurz vor Ablauf der Garantie haben teure Geräte besonders seltsame Mucken. Vor Weihnachten müssen die alten, eingestaubten Plattenspieler in die Werkstatt, oft liegt auch noch die Weihnachtsplatte vom Vorjahr drauf. Nach Weihnachten kommen all die alten, eingestaubten Plattenspieler zur Reparatur, die an Weihnachten nicht funktioniert haben. Und samstags ist bei manch einem alten Ehepaar die Farbe weg. "Da hat der Vater abends, wenn die Mutter schon im Bett ist, heimlich die Sexfilme auf Sat 1 angesehen. Und damit sie nichts merkt, versucht er auf der Fernbedienung den Ton leiser zu stellen und hat alles andere gleich mitverstellt."

Die Fernbedienungen sind überhaupt das Furchtbarste an der ganzen Geschichte. Sie sind andauernd unbrauchbar, weil die Menschen sie nicht bedienen können. Um das dreißigste Lebensjahr herum, so heißt es, verlaufe die Grenzlinie zwischen Bedienungsfähigkeit und -unfähigkeit. Vorher ist die Gerätschaft kein Problem, nachher überschreitet die Technik den Horizont. Da nützt das Lesen der Gebrauchsanweisungen auch nichts. Die sind so kompliziert, dass ein Nicht-Fachmann kapituliert. Also fummelt der Benutzer, die Benutzerin an der Fernbedienung herum, und wenn dann noch ein Receiver (für Satellit) im Spiel ist, ist es ganz aus. Es muss einem nicht einmal, wie dem älteren Herrn, die Fernbedienung in den Nachttopf fallen, da reicht schon das unkoordinierte Rumdrücken auf der Tastatur. Männer haben es besonders schwer. Sie wissen alles und hören nicht zu. Nachdem die Fernbedienung zum dritten Mal kaputt war, fragte der Techniker vorsichtig, ob denn der Benutzer sie hie und da fallen ließe. "Das mach ich nie", war die Antwort. Im gleichen Moment klingelte das Telefon, der Mann knallte die Fernbedienung auf den Tisch und hob den Hörer ab. Sie musste zum vierten Mal nachgelötet werden. So einer wird im Fachjargon mit "technischer Depp" belegt. Frauen hören besser zu, weil sie sich weniger Technikverstand unterstellen. Eine hörte so gut, dass sie ihren Fernseher zum Service brachte, weil der rechte Lautsprecher knackte. Da war aber gar kein Lautsprecher.

Übrigens sind es auch immer die Männer, die den Videorecorder in die Werkstatt bringen, wenn die Pornokassette klemmt. Den jungen macht es ja nichts aus, die warnen den Techniker wenigstens vor dem Inhalt. Die älteren aber lassen sich was einfallen, um aus der moralischen Patsche zu kommen. "Der gehört meinem Sohn," ist die beliebteste Ausrede. Glatt gelogen, die jungen Männer schauen gar nicht soviel Schweinskram, behauptet der (junge) Techniker. Ganz besonders peinlich war einem dieser Kunden der Teilfehler seines Videogerätes. Er hatte einen Heimatfilm für das alte Mütterchen seines Freundes aufgenommen und meinte, dafür einen ausrangierten Pornofilm gelöscht zu haben. Als der Freund und sein Mütterchen den Film anschauen wollten, sahen sie wohl schöne Heimatbilder, aber dazu lief der original Pornosound. Der Recorder hatte die Tonspur stehenlassen. "Haja," meinte der Sohn. "Da wird sie wenigstens an alte Zeiten erinnert."

Natürlich gab es damals solche Exzesse noch gar nicht. In diesem Jahrhundert haben die technischen Medien das so genannte Begehren erst richtig in Schwung und auf die Kanäle gebracht. Der psychische Apparat des Menschen aber, der braucht ein bißchen länger.

Sollten Sie jetzt irgendwelche Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Geschichten hegen und diesem Medium misstrauen: ich kann Ihnen versichern, es ist alles passiert. Echt.


Gertrud Salm

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