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Macht + Geld + Schweiz

Ich erinnere mich an das Schweiz-Bild, das Hitchcock in einem seiner Krimis zeichnete: Berge, eine Blondine mit Zöpfen, Schokolade. Wir würden hinzufügen: Uhren, Bankengeheimnis. Und unsere Basisdemokraten sind begeistert von der vorbildlichen demokratischen Struktur mit ihren diversen Bürgerbeteiligungen. (Kaum jemand prüft wohl die tatsächlichen Ergebnisse solcher ‚Volksbegehren’. Letztes Jahr hat es ein „Volks-„ und „Ständemehr“ gegen die „Masseneinwanderung“ gegeben. Was bei uns als Rechtspopulismus gelten würde, ist dort anerkannt Volkes Stimme: Die vorgesehene Verfassungsänderung verstößt dazu gegen die eigenen Verträge mit der EU über die Personenfreizügigkeit…)
Ueli Mäder von der Universität Basel, Soziologie, hat mit einer Forschergruppe und Studierenden nun unter dem Stichwort der Verflechtung von Macht und Geld ein etwas reichhaltigeres Panorama entworfen.
Erster Eindruck: Bei diesem Thema schlägt man sich durch Filze und dschungelhafte Dickichte (was man gelegentlich - undurchschaubare - „Komplexität“ nennt). Mäder’s Machete ist zunächst die Fülle von Fakten und Präzisierungen; man bekommt eine Ahnung davon, was, nach Anlage einer Lichtung, die berühmte „Transparenz“ wäre. Bei den kriminalistischen bis kriminalen Tatbeständen sträuben sich einem mitunter die Haare. Der Grundton des Buches ist eine scharfe Kritik am Neoliberalismus. Um nur einige Variationen anzuführen: Finanzplatz Schweiz – Realwirtschaft und große Unternehmen – Gewerkschaften – Interessen und Lobbyismus – Justiz, Militär, Polizei – Denkfabriken, Netzwerke – Stiftungen – Medien, Digitalisierung – Frauen. Den Schluss des Buches bilden fünf ausführliche Fallstudien. Das zweite Werkzeug ist die Nähe zur Empirie. Mäder und Mitarbeiter haben zahlreiche Interviews geführt, die teils im O-Ton, teils in Paraphrase wiedergegeben werden. Man hat den Eindruck, die Akteure und Funktionen kennenzulernen und näher an der Realität zu sein. Diese Anschaulichkeit wird durch den eher erzählenden Ton und stilistisch gute Lesbarkeit verstärkt.
Der Hauptautor gibt seine „persönliche sozialistische Grundhaltung“ an, seine Soziologie ist nicht wertneutral, sondern will sich „zivilgesellschaftlich“ einmischen. Das liegt nun zwischen dem Extrem der scharfen Kritik und der Vorstellung, man könne dem Neoliberalismus ein „demokratisches Regulativ“ entgegensetzen. Ökonomisch: „Der Finanzkapitalismus transformiert sich [!!] in eine ökologische und soziale Marktwirtschaft, in der die Realwirtschaft im Vordergrund steht.“ Auf der einen Seite die definitive Sentenz aus einem Interview: „Die direkte Demokratie ist ein politisches Kulturdenkmal … Wir sind auf dem Weg zu einer Scheindemokratie.“ Auf der anderen Plädoyers für Alternativkonzepte, die auf den Demokratiebegriff zurückgreifen. Und in der Mitten die Zuversicht eines holden Bescheidens: „Sie beinhaltet eine andere Form des Selbstschutzes: durch soziale Verbundenheit. So sind wir wenigstens nicht alleine machtlos.“
Es begegnen uns eine Unmenge Personen, die wir nicht kennen, eine Menge Kürzel uns unbekannter Einrichtungen (die man überlesen oder nachschlagen kann, wenn man es genau wissen will). Für uns Dütschdütsche wären ein Glossar bzw. Personen-Skizzen hilfreich gewesen – aber das Quellenverzeichnis ist schon lang genug! Vorkenntnisse in der politischen Struktur, Parteienwesen etc. sind von Vorteil, aber nicht unabdingbar. Insgesamt wie gesagt ein Dschungelbuch, gefärbt durch die Spezialität der Schweiz, aber durchaus paradigmatisch für die Undurchschaubarkeit wirtschaftlicher und politischer Verflechtungen und die Schwierigkeit von Aufklärungsversuchen.

Deshalb empfehle ich: Ueli Mäder (2015): Macht+ch. Geld und Macht in der Schweiz. 1. Auflage. Zürich: Rotpunktverlag.

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